Fritzli und das leise neue Jahr

Wenn es draußen knallt, suchen manche ein Versteck.
Diese Geschichte erzählt von einem anderen Silvester:
ohne Feuerwerk,
mit Feuer, Wärme, Nähe
und der Erkenntnis, dass Rücksicht manchmal das größte Fest ist.

Im Dorf war Silvester kein Tag, der knallte.
Er glühte.

Schon am Nachmittag roch es nach Holzrauch und warmem Saftpunsch. Auf dem Dorfplatz stapelten ein paar Leute Holzscheite, andere stellten Bänke dazu, wieder andere brachten Töpfe, Becher, Decken und ein bisschen zu viel gute Laune mit. Es war dieses besondere Durcheinander, das nicht chaotisch war, sondern vertraut.

Fritzli beobachtete das alles mit gespitzten Ohren.

Fritzli war ein Dackel. Kurzbeiniger Körper, langer Rücken, treue Augen und eine Art, mit dem Schwanz zu wedeln, als müsse er damit gleich mehrere wichtige Dinge gleichzeitig sagen. Er lebte noch nicht so lange im Dorf. Früher hatte er woanders gewohnt. Und dort war Silvester… schwierig gewesen.

Sehr schwierig.

Wenn es geknallt hatte, war Fritzli unter das Sofa geflüchtet. Oder in die Badewanne. Oder in die Ecke hinter der Waschmaschine, wo eigentlich kein Hund hinpasste – aber Fritzli hatte es irgendwie doch geschafft. Knall, Zischen, Pfeifen, noch ein Knall. Das neue Jahr hatte sich damals immer angefühlt wie ein Angriff.

Hier im Dorf war das anders.

Fritzli wusste das inzwischen. Aber sein Körper erinnerte sich manchmal noch.

Kasimir, der Kater, saß auf der niedrigen Mauer neben dem Platz und tat so, als ginge ihn das alles nichts an. Er beobachtete Fritzli aus halb geschlossenen Augen.

„Du bist nervös“, stellte Kasimir fest.

„Ich bin vorbereitet“, sagte Fritzli schnell. „Das ist was anderes.“

Herr Pieks, der Igel, rollte sich in der Nähe des Holzstapels ein Stück hin und her und nickte.
„Vorbereitung ist gut“, piepste er. „Ich habe früher auch schlechte Erfahrungen mit überraschenden Geräuschen gemacht. Besonders mit Töpfen.“

„Feuerwerk?“, fragte Fritzli vorsichtig.

Kasimir schnaubte. „Ach was. Das machen wir hier nicht mehr.“

Und dann erzählten sie ihm davon.

Davon, dass es früher im Dorf tatsächlich Raketen gegeben hatte. Dass es geknallt und gezischt hatte. Dass Tiere verschwunden waren, Kinder geweint hatten – und ein paar Erwachsene später zugegeben hatten, dass sie es eigentlich auch nicht besonders mochten. Zu laut. Zu plötzlich. Zu wenig miteinander.

Also hatten die Dorfbewohner eines Jahres zusammengesessen. Und beschlossen:
Wir machen das anders.

Seitdem gab es an Silvester ein Feuer. Kein Spektakel. Kein Knall. Nur Flammen, die tanzten. Menschen, die näher zusammenrückten. Becher mit warmem Inhalt. Und Zeit.

Fritzli ließ den Atem langsam raus.

Als es dunkler wurde, füllte sich der Platz. Mira kam mit Frau Matti, beide dick eingepackt. Mira blieb ein bisschen am Rand stehen, genau richtig weit weg vom Trubel. Frau Matti wusste, wo sie stehen bleiben musste, damit es gut war. Kasimir setzte sich demonstrativ auf eine Decke, die eindeutig für Menschen gedacht gewesen war. Herr Pieks prüfte das Holzlager – nur zur Sicherheit.

Das Feuer wurde angezündet. Kein Knall. Nur ein leises Knistern.

Fritzli setzte sich dicht an Frau Mattis Bein. Nicht aus Angst. Eher aus Gewohnheit. Und vielleicht auch, weil Nähe manchmal einfach gut tat.

Es wurde gelacht. Geschichten wurden erzählt. Jemand verschüttete Saftpunsch, jemand anderes tat so, als wäre das Absicht gewesen. Kasimir fing an, sich über die Tanzbewegungen einiger Dorfbewohner lustig zu machen, bis er merkte, dass ihm jemand über den Rücken strich – dann schnurrte er doch.

Kurz vor Mitternacht wurde es stiller. Nicht plötzlich. Sondern so, wie Stille kommt, wenn alle merken, dass jetzt etwas Wichtiges passiert.

Die Becher wurden gehoben.
Das Feuer knackte leise.
Fritzli spürte: Kein Knall. Kein Pfeifen. Kein Davonrennen.

Nur Stimmen. Wärme. Atem.

„Auf das neue Jahr“, sagte jemand.

„Aufeinander“, sagte jemand anderes.

Fritzli bellte einmal leise. Nur ein kleines „Ich bin da“.

Als die Glocken im Nachbardorf Mitternacht schlugen, zuckte Fritzli kurz zusammen – und entspannte sich gleich wieder. Das konnte er. Jetzt konnte er das.

Kasimir nickte zufrieden. Herr Pieks murmelte: „Ein sehr ordentliches Jahr fängt so an.“

Und Fritzli dachte – auf seine dackelige Art – dass ein neues Jahr gar nicht laut anfangen musste.
Manchmal reichte es, wenn es gemeinsam begann.

Mit Feuer statt Knall.
Mit Nähe statt Flucht.
Und mit einem Dorf, das wusste, dass Rücksicht auch feiern kann.

Hinterlasse einen Kommentar