Heute um 18h war die Demo in Zürich. Ich wollte unbedingt hin, Und dann bin ich doch zu Hause geblieben. Dabei war sie doch soch wichtig – nicht nur mir, sondern überhaupt. Eine Demo, denn der Bundesrat hatte vor kurzem bekanntgegeben, dass es keine Option für ein 3. Geschlecht geben soll. „Die gesellschaftlichen Voraussetzungen seien nicht gegeben“, hiess es. Was für Voraussetzungen bitte? Waren die bei der Abschaffung der Sklaverei damals auch gegeben? Da ging es auch nur um die Rechte einer Minderheit wovon die machthabende Mehrheit nicht profitierte. Aber es gibt Dinge, die müssen einfach gemacht werden. Wenn Gesetze nur noch längst bestehendes anerkennen, hinken sie hinterher. Liegt es nicht am Staat, die Grundlagen zu schaffen?
Viele Menschen meckern, sie hätten vom ewigen Rumdiskutieren die Nase voll. Dann hört auf zu diskutieren und schafft einfach die Grundlagen. Schafft Gleichberechtigung, bringt die medizinische Versorgung up to date und macht es möglich, dass ALLE Menschen ein glückliches, würdiges Leben führen können. Dann hört auch die Diskutiererei auf. Denn damit nehmen wir euch ja nichts weg. Wer weiterhin auf einem der binären Polen leben will, der soll das machen, und glücklich sein, genauso wie es alle anderen ebenso machen wollen, und dabei anerkannt sein. Sprache entwickelt sich trotz allem zeterns weiter. Oder sprechen wir heute noch wie Zwingli und Luther? Übrigens wurde ‚they‘ schon zu Shakespeares‘ Zeiten im singular für eine Person benutzt – ist also keine neumodische Erfindung.
Menschen, die nicht in binäre Systeme passen, gibt es schon seit Menschengedenken, und in Kulturen auf der ganzen Erde. Zu sagen es gäbe uns nicht, und wir hätten keine Rechte, zeugt nicht nur von politischem Unwillen (Faulheit!) was die Regierung angeht; und zeugt, was die Bevölkerung angeht, die sich in trans- und nicht-binärfeindlichen Kommentaren auf social media und unter Artikeln ergiesst, von Mangel an Empathie, menschenverachtendem Verhalten und schlichtweg von Erheblichkeit wenn man meint, man könne sich mit seiner Meinung einfach über den Grossteil der Geschichte und Kulturen der Welt hinwegsetzen um in seiner kleinen Cisheteronormativen Bubble recht zu behalten.
Aber zurück zur Demo.
Ich wollte hin, und war nicht da.
Ich wollte wirklich hin, aber bin nicht hin.
Aber mein schlechtes Gewissen – das ist da.
Immer schön die Klappe aufreissen, aber dann nicht einmal an eine Demo gehen. Kann ich mich da überhaupt Aktivist* nennen?
Ja, das schlechte Gewissen.
Selbst wenn ich mir sage, dass meine Gründe vielleicht legitim sind.
Da ist zum einen die Zugfahrt nach Zugfahrt bis nach Zürich.
Ich lebe weit unter dem Existenzminimum. Bei der Zugfahrt nach Zürich heisst das, ich zahle das Billet, oder eine Woche zu essen für mich und meine Kinder. Gerade am Jahresende und -anfang kommen noch mehr Rechnungen, Krankenkassenfranchisen, etc. dazu die nur schwer zu tragen sind. Wäre die Demo in Bern gewesen (logischerweise vor dem Bundeshaus!), hätte ich mit meinem Abo hinfahren können. Anspruch auf Soz habe ich keinen, da ich im Masterstudium bin. Trotz Bestätigungen von Uni und Kirche, dass ich ohne dieses keine Anstellung als Pfarrer bekomme, hies es beim Soz nur, „auch Putzen wäre ein angemessenes Recycling meiner Kapazitäten und meines Bachelors in Theologie“ und daher kein Anspruch. Da ich 2021 während 3 Monaten samstags im Verkauf gearbeitet habe, wurden mir meine Krankenkassenreduktionen mehr als halbiert, obwohl ich 2022 und jetzt kein Einkommen habe. Die Reichen werden reicher, die Armen können krepieren. Ein Zugticket nach Zürich, oder eine Woche Lebensmittel. Ich bin so dankbar für die Karte für den Caritas-Markt, den ich vor 2 Wochen vom Sozialdiakon bekommen habe. Ohne die Hilfe von Freunden würde ich das gar nicht schaffen – ihnen sei Dank. Mehr, als ich in Worten ausdrücken kann.

Dann ist da mein Rücken.
Seit 2 Wochen wird es schlimmer, bzw. ist es schlimmer geworden und bleibt jetzt gleich. Ich habe Rheumatoide Arthritis und eine leichte Skoliose, und die unteren Wirbel der Lendenwirbelsäule sind bereits verwachsen. Die Symptome jetzt weisen entweder auf eine starke Entzündung oder einen Bandscheibenvorfall hin, es wäre nicht das erste Mal. Die Schmerzen sind schlimm, 8/10 oder auch mal 9/10 ohne Schmerzmittel. Angefangen hat es vor Wochen als mir immer mal wieder die Beine wegknickten, so wie wenn man eine Stufe hinabgeht und übersieht, ohne sie tiefer ist als man dachte. Das passierte immer häufiger, und das gerade stehen, oder stehen überhaupt wurde immer schwieriger, wie auch das gehen. Manchmal musste ich mich morgens mit den Armen abstützen und entlanghangeln, und die Beine hinter mir herziehen, eine oder zwei Stunden lang. Mit den Schmerzmitteln bin ich dann bei 6/10 oder 5/10 und kann wieder stehen und gehen. Auch wenn die Beine trotzdem ab und an wegknicken. Daher der Gehstock, um mich in diesen Momenten abzustützen und den Rücken zu entlasten. Meine Hausärztin, die ich vor ein paar Tagen anrief, hat mir Magenschoner verschrieben, ich solle noch mehr Schmerzmittel nehmen – einen Termin habe ich am 9. Januar. Ich bin schon froh wenn es nur in den Beinen kribbelt unterhalb. Ich lasse mich nicht davon bestimmen, und nicht unterkriegen. Aber es nervt. Ich will, das es aufhört. Ich will einfach nur normal funktionieren und in Ruhe meine Arbeiten für die Uni machen, den Haushalt, und alles andere. Aber so im Schneckentempo auf einer Demo laufen?
Das sind einfach die Tatsachen – es ist, wie es ist.
Ich habe die Entscheidung so getroffen, wie es für mich am Besten war – und dennoch ist das das schlechte Gewissen. Und wäre ich dennoch gegangen, wäre da der Stress gewesen, noch mehr Schmerzen, der Stress vom evtl. nicht-mithalten-können. Egal wie herum ich es drehe, es fühlt sich mies an.
Ich treffe eigentlich keine Vorsätze mehr für das neue Jahr. Da nimmt man sich gross irgendwelche tollen Dinge vor, und nach gar nicht allzu langer Zeit ist man enttäuscht, weil es oft doch nicht klappt. Aber vielleicht könnte ich ja mal versuchen, etwas weniger hart mit mir selbst zu sein? Das heisst nicht, dass ich es schaffen werde – es wird nicht leicht sein. Aber es wenigstens versuchen, das könnte ein Anfang sein.
Für Personen und Anliegen die mir wichtig sind, werde ich mich immer im Rahmen meiner Kräfte einsetzen – ich kann gar nicht anders.
Und ich bin so froh und dankbar und happy, für die über 1’000 Personen, die heute in Zürich bei der Demo da waren und sich für die Rechte von non-binären, intergeschlechtlichen, trans* und genderqueeren Personen eingesetzt haben – ihr rockt!!!!