Es gibt ja die Regel „lies nie die Kommentare“. Daran habe ich mich in dem Fall mal wieder nicht gehalten, und die Kommentare sogar zuerst gelesen. Und dann habe ich Quintons Predigt gehört.
Eigentlich wollte ich ja selbst an den Kirchentag fahren. Ich wollte ihn endlich mal selbst treffen und hören. Ich kannte ihn sonst nur von den sozialen Medien – gelesen, den ein oder anderen Satz ausgetauscht und immer berührt von dem, was er schrieb oder sagte. Ich finde mich immer in vielem wieder, was meine eigenen Erfahrungen als BiPoC angeht.
Zum Eigentlichen: die Kommentare. Wo? Unter dem Youtube-Video des Abschlussgottesdienstes des Kirchentages. Und noch einige weiter auf Facebook. Ich habe selten so viel Bösartiges und Boshaftes gelesen – vom Absprechen des Glaubens und des Christseins, Aufrufen zur Busse, Rede von Blasphemie und Höllenfeuer bis hin zu ad hominem Attacken und klar rassistischen Aussagen – weil manchen Menschen anscheinend nichts besseres mehr einfällt. Wenn man sich nicht von selbst erheben kann, tritt man nach unten.
Ist doch Quintons Predigt aktuell wie nie! Und sie hat berührt, auf so vielen Levels, war heilsam – einfach guttuend. Endlich fühle ich mich gesehen, in meinen verschiedenen Facetten. Da predigt jemand, der so ist wie ich! Ich werde sie nochml hören, und nochmal….
Die, die sagen, er würde sich widersprechen denn er würde ja lügen da er ein verfälschtes Evangelium verkauft, hätten doch lieber einmal hingehört statt ihre Vorurteile hineingehört. Nein, er hat nicht gelogen. Vielmehr hat er, für meine Ohren und mein Verständnis (ich kann ja nur sagen, was ich verstanden und gehört habe), allen die ungeschminkte Wahrheit vorgesetzt: Wir vertrauen Eurer Liebe nicht. Wir haben keine sicheren Orte in Euren Kirchen.
Wie oft höre ich als queerer Mensch „aber ihr seid doch alle willkommen hier“ – das mag in der Theorie so sein, das macht aber aus der Kirche noch lange keinen safe space. Und als Person of Color geht mir das genauso – Wo kommst Du denn wirklich her? heisst es immer wieder.
Und auch: “Ohne Gerechtigkeit gibt es keine Liebe.” Denn ja, jetzt ist die Zeit dieses Gerechtigkeit lebendig werden zu lassen und in die Tat umzusetzen. Jetzt! Nicht in ein paar Jahren, nach noch ein paar Gremien und Synoden. Liebe ist nicht nur ein Gefühl, sondern vor allen Aktion. Liebe deinen Nächsten heisst ihm die Hand zu reichen, wenn dieser Mensch am Boden liegt. Denn wir sind nicht irgendwann Kirche, sondern wir sind es schon jetzt. Wir sind jetzt schon hier. Und wir sehen, hören, und spüren.
Denn Wir vertrauen eurer Liebe nicht. Wir haben keine sicheren Orte, in euren Kirchen. Genau das, dass es eben so ist, dass zeigte sich in dem sich entladenden Hass in den Kommentaren. Und da geht es nicht nur um queere Menschen, sondern auch um Rassismus – eigentlich um alle, die nicht recht ins Schema passen, nicht so „funktionieren“, wie sie es sollten.
Schon im September 2022 schrieb ich in einem Artikel „Was soll ich in einer Kirche, in der ich mich nicht finde, und die kein safe space ist? Ist das wirklich „meine Kirche“?„
Und bezüglich eines Gefühls des Alleingelassenwerdens als queere Person, als trans Person, gegenüber all der Gewalt die über uns hereinrollt -verbal und physisch- schrieb ich im November einen Artikel „Kirche & Trans: Wo bist Du?„
Das Gott queer ist, schrieb ich bereits in Artikel vor einigem Jahren – Artikel, der mit leider abhanden gekommen ist. Gott ist queer; nicht weil Gott schwul oder lesbisch oder trans wäre, sondern weil Gott ganz anders als die engen gesellschaftlichen Normen. Gott sprengt sie alle und weit über das hinaus. Und gleichzeitig sage ich: Gott ist eine queere schwarze, eine queere indigene Frau, Gott ist ein queerer Asylsuchender. Warum? Es eine Art, auszudrücken, nicht dass Gott nur dieses in Gottes Essenz ist, sondern dass Gott sich mit jenen solidarisiert, die Opfer von Gewalt sind, die unterdrückt werden – die Witwen und Waisen.
Sollte nicht jegliche Theologie eine Theologie der Befreiung sein, und diese Theologie zu Liebe, und Liebe in Aktion führen? Befreiung von den vielfältigen Formen politischer, sozialer, wirtschaftlicher, religiöser und rassistischer Unterdrückung. Das sollte christliche Theologie sein, wie James Cone es sagt, „eine Untersuchung des Wesens Gottes in der Welt im Lichte der existentiellen Situation einer unterdrückten Gemeinschaft, die die Kräfte der Befreiung mit dem Wesen des Evangeliums, das Jesus Christus ist, in Verbindung bringt“ (A Black Theology of Liberation (40th anniversary ed.). Maryknoll, New York: Orbis Books).
Dass Liebe noch nie eine Massenbewegung war, wie Quinton sagte, kam durch die Welle der Kommentare (und wenn es doch nur bei Kommentaren geblieben wäre! und nicht zu konkreten Drohungen gekommen wäre… wie rechtschaffen ist das denn, werte Wutbürger und -Christen? ) leider zutage. Ich plädiere dafür, dass wir anfangen, sie zu einer machen. Aufwachen!
Das Evangelium der Liebe Gottes muss Befreiung sein, für alle, sonst wird, nein, sonst bleibt es schlechte Botschaft für viele, statt guter. Eine, die mir wieder einmal von einem Angehörigen des Bodenpersonals überbracht wird, als die Person mir sagte, von Intergeschlechtlichkeit hätte sie noch nie gehört, da muss dass wohl ein Fluch sein, doch Gott könne Wunder tun; und dass trans sein Sünde ist. Ja, Gott tut Wunder, jeden Tag auf neue. Gott hat schon Wunder getan, als Gott jeden Menschen einzigartig und wundervoll erschuf, queere und nicht-queere, BiPoC und nicht BiPoC Menschen mit und Menschen ohne Behinderung, neurodiverse und neurotypische Menschen.
Wer Ohren hat, der höre.
Sich äussern, diskutieren und austauschen ist eine Sache – Hass, Hetze und Häme, aus Bibelversen Waffen zu machen, ist etwas ganz anderes. Hass bleibt Hass, und wenn er noch so schön in Bibelversen, Bibelkärtchen und Geschenkband eingepackt wird. Ich stelle mich dagegen. An die Seite von Quinton Ceasar, Alexander Brandl und Constanze Pott. Und soweit ich weiss, steht Gott an der Seite derer, die Verspottet werden.

„Jetzt ist die Zeit, um uns an die befreiende Liebe von Jesus zu kleben. Nicht an Institutionen, nicht an Worte, nicht an Traditionen, an Macht, an Herkunft und Heteronormativität. Klebe dich bitte an die Liebe, die befreit. Klebe dich an die Liebe Gottes, die befreit.„