Kirche & trans: wo bist Du?

Ich fühle mich gerade alleine gelassen. Und ich frage mich, ob ich mit diesem Gefühl allein bin. Ich weiss, dass viele Gefühle des Andersseins von meinem Autismus kommen, aber gerade mache ich mir Gedanken über die stetig steigende Transfeindlichkeit die sich in Schimpfworten, Hassreden, in politischen Diskursen, Parolen und anderweitig bis hin zur physischen Gewalt entlädt. Der Grossteil der Zivilgesellschaft schaut stillschweigend zu, die Politik ist untätig – und die Kirche schweigt.

Die, um die es mir hier vor allem geht, ist die Kirche. Ich studiere Theologie, will Pfarrer werden. Reformierter Pfarrer. Sie liegt mir Herzen, diese Kirche. Menschen liegen mir am Herzen. Und Menschen sind es, die jetzt leiden.

Ich fange mal mit dem Positiven an, denn das gibt es auf jeden Fall: es gibt einiges, worüber ich mich freue, und wofür ich dankbar bin.

Ich bin froh und dankbar darüber, dass ich in meiner Kirchgemeinde so sein darf, wie ich bin, und dass mit allen meinen Facetten, und dort Gottesdienst feiern darf, mit allem was ich bin, zusammen mit anderen. Ebenso bin ich dankbar für andere Pfarrpersonen, hier und anderswo in der Schweiz, die wertvolle Freunde und wunderbare Menschen sind und mich inspiriert haben, den Weg zu gehen, den ich jetzt gehe; und ebenso für all diese, deren Kirchgemeinden offen sind für alle Menschen, und für die Menschen einfach Menschen sind. Ich bin dankbar für die grundsätzliche Offenheit und Bekenntnisfreiheit der reformierten Kirche, die eine grosse Freiheit und Diversität ermöglicht, und in der es damit einen Platz für uns queere Menschen gibt.

Ich bin dankbar für die Universität an der ich studiere, für die theologische Fakultät: auch wenn ich machmal mit mir selbst hadere (siehe mein Eintrag Behindert…?!) ist die Offenheit und Freundlichkeit dort eine ganz neue Welt für mich – der Dozent*innen als auch der Student*innen. Die Gruppe, mit der ich gerade mein praktisches Semester mache, sind allesamt wunderbare Menschen und ich hoffe und freue mich darauf, sie eines Tages als Kolleg*innen zu haben. Ich bin dankbar über neue Projekte, Ideen, Dinge, die im Entstehen sind und möglich sind und werden…

Und dennoch – Ich habe bei der Kirche das doppelte Gefühl von angenommen sein und alleine gelassen werden. Denn sie ist offen, und gleichzeitig kein safe space für viele. Dass, was sie zu einem safe space macht, ist die Anwesenheit bestimmter Menschen – denen hier einmal Dank ausgesprochen sei.

Ich habe mal gegoogelt zum Thema „reformierte Kirche und trans“. Viel ist nicht dabei rausgekommen. 2 Artikel, einer zur Pride und einer zur Frauenkonferenz, die Website der mosaic church und ein Heft des Magazins Bildungskirche (Vierteljährliches Themenheft für kirchliche Mitarbeitende und Behördenmitglieder). Darin fand sich ein gutes Interview mit dem trans Mann Benjamin Hermann, ein Artikel von Mathias Wirth, ebenfalls sehr gut – und ein furchtbares Interview mit dem unsäglichen Titel „Im Zauberland der Geschlechtsstörung“ – da gibt es Aussagen wie Selbstdiagnose-Anleitungen aus dem Internet, sprunghafter Zunahme von Mädchen mit Identitätsstörungen, Non-Binarität „als Zeichen einer Unsicherheit, ein Zeichen dafür, etwas ganz Besonderes sein zu wollen“. Alles an diesem Interview macht mich sprachlos – so sehr, dass ich gar nicht weiss, wo ich anfangen soll. Es ist einfach nur furchtbar, jedes Wort davon. Es hat nichts neutrales, wissenschaftlich-informatives. Es ist tendenziös. Was soll das in einem Magazin, dass sich Bildungskirche nennt?

Aber es ist ja nur ein Symptom, wenngleich ein traurig-schlimmes. Wie ich oben sagte, schätze ich die Bekenntnisfreiheit der reformierten Kirche, da sie eben Freiheit und Offenheit garantiert, und dadurch ist in ihr auch Plazu für mich als trans* Mensch. Gleichzeitig ist in ihr auch Platz für transfeindliche Menschen, und auch für solche, die nicht transfeindlich sind, sondern einfach nur unwissend/unsensibel, da unerfahren in diesen Themen und dadurch verletzend. Bei letzterer Gruppe reicht meist ein Gespräch, ein persönliches Zusammentreffen, und vieles ist gut.

Das Problem ist vielmehr, dass die Kirche zwar für uns offen ist, sich aber nicht dezidiert dafür einsetzt, inklusiv und safe für uns zu sein, und sich auch nach aussen nicht für uns einsetzt – weder politisch, noch anderweitig (z.B. ein Wort, ein Aufruf gegen die Gewalt). Hat man Angst, Mitglieder zu verlieren bei bereits schwindenden Mitgliederzahlen? Sind wir nicht wichtig genug? Welche Leben sind wichtig genug, auf das man sich für sie einsetzt? Hat man Angst, dann doch „zu woke“ zu sein?

Dabei hat das in erster Linie nichts mit woke sein zu tun. Waren die Propheten woke, als sie zu sozialer Gerechtigkeit aufgerufen haben? Würde man all diejenigen woke nennen (so wie es heute nun einmal in den hiesigen Breitengraden besetzt ist), die sich für Gerechtigkeit, gegen Gewalt und gegen Rechts eingesetzt haben? Für mich hat die Kirche einen prophetischen Auftrag. Dieser liegt darin, der Gesellschaft einen Spiegel vorzuhalten, ihr unangenehme Wahrheiten vorzuhalten wenn es sein muss, sich auf die Seiten der Armen, der Unterdrückten und noch zu Befreienden zu stellen, deren Stimme zu sein und der Gewalt Einhalt zu bieten.

Ist dies nicht Evangelium in der heutigen Zeit? Ist dies nicht überhaupt Evangelium? „Die Geistkraft der Lebendigen ist auf mir, denn sie hat mich gesalbt, den Armen frohe Botschaft zu bringen. Sie hat mich gesandt, auszurufen: Freilassung den Gefangenen und den Blinden Augenlicht! Gesandt, um die Unterdrückten zu befreien, auszurufen ein Gnadenjahr der Lebendigen!“ (Lukas 4,18-19) Denn, wie James Cone sagt, „Jegliche Theologie, der das Thema der Befreiung egal ist, ist keine christliche Theologie“.

Ein offener Diskurs der Kirche und in der Kirche würde auch dazu beitragen, dass sich viele nicht mehr verloren und unsicher fühlen. Es gibt noch viel Aufklärungsarbeit zu machen, und insgesamt geht es in die richtige Richtung. Ich wünsche mir dennoch mehr Unterstützung. Das queere Pfarramt in Zürich ist ein wunderbarer Startpunkt; doch kann es nicht das einzige für die gesamte Deutschschweiz sein (Burnout? lange Anfahrtszeiten… nicht jeder kann es sich leisten, dorthin zu fahren); die OKE in Basel macht ebenfalls seit langen Jahren eine wunderbare innovative Arbeit. Wir brauchen mehr, es gibt Nachfrage, und es gibt hier grosses Potential, welches nicht verspielt werden sollte. Die Kirche, die christliche tradition kann vieles zu unseren Leben beitragen; gleichzeitig können queere Menschen vieles zur Kirche beitragen.

Ja, es gibt viele Baustellen auf dieser Welt. Ich lebe mein Leben, Schritt für Schritt. Aber zu sehen, wie das Leid direkt vor der Tür der Kirche(n) passiert, und keine Stimme zu hören ist (so hat man z.B. bei RefLab dennoch Zeit über Peter Fox, Harry Potter oder ein abgehängtes Kirchenkreuz in Münster zu schreiben, und answerswo sieht es nicht anders aus) – das macht mich traurig.

Und, aber, auch: Der Hate Crime Bericht bestätigt, dass die Anzahl der gemeldeten Vorfälle im Vergleich zum Vorjahr um 50% gestiegen ist, und dass trans* Personen besonders gefährdet sind. Die Dunkelziffer liegt wesentlich höher (Dachverbände in Deutschland schätzen die Dunkelziffer auf ein Plus von 90%, in der Schweiz dürfte es ähnlich sein). Es wurde zwar einiges erreicht was rechtliche Vorstösse angeht, doch schaut man sich die politisch-gesellschaftliche Stimmung an, kann man die Augen vor dem Aufschwung der Rechten und rechtsextremer Gruppen nicht verschliessen. Diese wenden sich seit eh und je gegen mit gewohnt rassistische Vokabular gegen Migranten und eine „Islamisierung“ Europas, aber nun auch gegen alles „woke“, gegen die „LGBTQIA-Ideologie“, den „Transgender-Wahn“ und die „Gender-Ideologie“ die die traditionelle Familie bedrohen würden, gar auszulöschen suchen würden oder sie ersetzen wollen, und damit eine Gefahr für die Gesellschaft seien.

Mit diesem Diskurs finden sie Anschluss bei (rechts-)konservativen Parteien wie z.B. der SVP, aber auch in konservativen christlichen Kreisen, ohne dass diese zunächst rechts sind. Es ginge darum, „Kinder zum schützen, denn da sich Homosexuelle und Transgender nicht fortpflanzen können, müssten sie Kinder durch Ihre Ideologie beeinflussen“, so der absurde und hetzerische Diskurs. Mit ihren Narrativ findet die rechte aber auch zum Teil Anschluss in feministischen Kreisen, ginge es doch nur darum „Frauen und Mädchen zu schützen“, etwa auf Toiletten und im Sport. Selbst die queere Community ist von Transfeindlichkeit nicht verschont, zum Beispiel in der Gay Community oder wie die Gründung von LGB-Bewegungen zeigen (LGB: Lesbian Gay Bisexual, unter bewusstem Ausschluss von Trans).

Dieses mehr an Gewalt äussert sich in allen Formen: von Beschimpfungen bis hin zu tätlichen Angriffen und gezielter sexualisierter Gewalt. Wenn über Gewalt an trans* Menschen berichtet wird, werden diese bisweilen misgendert, und in den Kommentaren ernten sie Häme, Schadenfreude, Hass bis hin „selbst schuld, zuviel provoziert“ bis hin zu Todeswünschen. Die Aktionen von rechtsextremen Gruppen sind durchaus ernst zu nehmen, und solche Fälle nehmen zu: vom Angriff auf den Pride-Gottesdienst in Zürich, auf den Angriff auf die Drag Queen Story Story Time im Zürcher Tanzhaus bis hin zur Bedrohung einer queeren Lehrerin im Thurgau durch eine Gruppe von acht Männern und einen Aufruf zur „Jagd auf trans* Menschen“ und „Pfarrer, die Homosexuelle trauen“.

Von politischer Seite kommt bis jetzt nichts. Ueli Maurer und seine Aussage, kein „Es“ als Nachfolger zu wollen, ist von Kim de l’Horizon brilliant kommentiert worden, und dessen Replik wiederum vom Mathias Wirth. Herr Maurers potentieller Nachfolger, Herr Vogt, ist zwar schwul, will sich aber gegen den „Transgender-Wahn“ einsetzen. In vielen Kantonen werden Hate-Crime Statisken abgelehnt – soviel zur Politik. Darum müssen wir uns weiterhin alles erkämpfen…

Menschen kommen zu mir und erzählen mir von ihrer Angst. Von ihrer Wut. Von ihrer Sprachlosigkeit. Aber vor allem von der Angst, der umgeht. Weil wir sind, wer wir sind, und lieben, wen wir lieben. Aber was ändert das für Arbeitskolleg*innen, für Nachbarn, Passant*innen, Menschen die man gar nicht kennt? Und dennoch wird unsere Existenz in Frage gestellt – ob es uns geben soll, darf, on es „uns ausgetrieben werden soll“, ob man weggesperrt werden soll, verboten, zum Schweigen gebracht und gänzlich unsichtbar gemacht werden soll. Die Abwertung fängt durch Blicke und Worte an -auf Facebook, Twitter, Tiktok, durch Privatnachrichten auf Telefon und im Briefkasten-, geht mit Mobbing weiter und entlädt sich schliesslich in körperlicher Gewalt.

Und darum ist und bleibt die Stimme der Kirche so wichtig – auch, und gerade in einer Gesellschaft, in der die Kirche zwar dabei ist, in eine Minderheitsposition zu geraten, aber dennoch Ansehen und Gehör besitzt. Die Menschen sehen, hören, warten. Es ist der Auftrag der Kirche, sich für die Schwachen stark zu machen, Stimme zu sein, gegen Gewalt zu stehen. Und wir trans* Menschen, queere Menschen, wir gehören zu denen, denen Gewalt geschieht. Jeden Tag. Jeden Tag sind wir geachtet wie Schlachtvieh. Es gibt Menschen hier und da, die sich für uns einsetzen, die uns zuhören. Und viele von denen, die kämpfen, sind selbst queer. Wir können nicht alles selbst machen, auch wenn wir oft dazu gezwungen sind. Wir, ich, bin gerade müde. Ich höre immer wieder Stimmen, Stimmen die von Wut, Angst, Verzweiflung und Ratlosigkeit erzählen gegenüber all dem, was gerade geschieht. Und die sich erhofften, einen Schutzraum in der Kirche zu finden. Die sie aber nicht ist, und weiter schweigt. Da stellt sich für manche die Frage: warum will man irgendwo dazugehören, wenn man erst hart arbeiten muss, um irgendwie dazuzugehören, es dann doch noch viele implizite Ausschlüsse gibt (Predigten sind hier nur den Anfang), und man am Ende doch keinen Schutz findet?

Wir sind stark. Wir sind nicht schwach. Aber man wünscht sich, nicht so verdammt stark sein zu müssen und einfach nur leben zu können, voller Freude und Liebe.

Befreit, im Lichte des Evangeliums. Solidarisch, getragen durch die Solidarität anderer.
Nur wenn alle frei sind, sind wir wirklich frei.

*Medienmitteilung von Lesben gegen Rechts-Schweiz, tvo-online.ch und toponline.ch

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