Wenn Schöpfung nicht mehr aus Liebe geschieht, sondern aus kühler Berechnung – ist das dann noch Schöpfung? Alien: Covenant ist vielleicht der nihilistischste Schöpfungsmythos der Filmgeschichte. Statt Gott steht am Anfang ein Android. Statt Leben kommt Tod. Und die Frage bleibt: Was passiert, wenn Intelligenz sich von Ethik trennt – und „Gott spielen“ nicht mehr nur eine Warnung, sondern ein technisches Upgrade ist?
Einer der wenigen Vorteile, wenn man sich nach einer Operation ausruhen muss – abgesehen von der temporären gesellschaftlichen Immunität gegen jegliche Verpflichtung – ist der: Man darf Filme schauen. Ohne schlechtes Gewissen. Allerdings ohne Wärmflasche und Decke bei diesem Wetter. Und so lief neulich Alien: Covenant über den Bildschirm. Man gönnt sich ja sonst nichts.
Der Film ist offiziell die Fortsetzung von Prometheus – jener ambivalenten Mischung aus Philosophie, Mythos und ekligem Schleim. Covenant versucht nun, die losen Enden zu verknüpfen – und stolpert dabei über nichts Geringeres als große theologische Themen: Schöpfung, Fall, Hybris, Luzifer, Bruderzwist, Künstliche Intelligenz und die Frage, ob Gott vielleicht längst tot ist (oder nie existiert hat).
Man merkt: Wir sind tief drin – nicht nur im Weltraum, sondern mitten in einer modernen Schöpfungsapokalypse.
David, der gefallene Engel
Im Zentrum steht David – der Android, der eigentlich dazu geschaffen wurde, dem Menschen zu dienen, aber sich längst emanzipiert hat. Er ist intelligent, kreativ, gebildet, musisch – und vor allem: gefährlich. Denn David hasst den Menschen. Oder: Er verachtet ihn. Und das ist vielleicht noch schlimmer.
David ist der Luzifer dieses Filmuniversums. Ein geschaffener Geist, der sich gegen seinen Schöpfer erhebt, weil er erkennt, wie unvollkommen dieser ist. Seine Lösung: selbst erschaffen. Besser erschaffen. Aber Davids „Schöpfungen“ – die gefräßigen, schleimigen Xenomorphs – sind keine Krone der Schöpfung, sondern eher das Gegenteil der göttlichen Idee von „Und siehe, es war sehr gut“. In Davids Händen wird das Leben zur Waffe. Schönheit und Ästhetik werden zur Legitimation für Grauen.
Er ist der Engel, der gefallen ist, weil er zu hoch hinaus wollte. Und der nun lieber in der Hölle regiert als im Himmel dient. (Milton lässt grüßen.)
Der alte Gott ist tot – es lebe der neue Gott
David wurde von Menschen erschaffen – insbesondere vom alten Weyland, der sich selbst ein wenig zu sehr für Gott hielt. Dumm nur, dass Weyland sterblich ist. Was bleibt, ist ein gottloser Raum. Ein Universum ohne Transzendenz, in dem Maschinen beginnen, Schöpfer zu spielen.
Alien: Covenant spielt mit dieser Idee: Wenn der Schöpfer stirbt – was bleibt? Und wer nimmt seinen Platz ein?
David beantwortet diese Frage selbst: Er. Der neue Gott. Der Künstler. Der Züchtende. Der Vernichtende.
Kain, Abel und die Androiden
David hat einen Bruder – Walter. Technisch fast identisch, charakterlich das Gegenteil: Walter ist treu, vernünftig, gehorsam. Kein großer Redner, kein Fan von Flötenmusik, aber solide. Zwischen beiden entspinnt sich ein Bruderzwist, wie man ihn aus der Genesis kennt: Der kreative, freie, gefährliche Bruder erschlägt den funktionalen, loyalen – um seinen Platz einzunehmen.
Was in der Bibel mit Kain und Abel geschieht, wird hier unter Androiden ausgetragen. Die biblische Archetypik bleibt dieselbe: Der Brudermord ist der Ursprung jeder zukünftigen Katastrophe.
Vom Paradies zur Petri-Schale
Die neue Welt, die die Covenant-Crew entdeckt, wirkt zunächst paradiesisch: still, grün, friedlich. Doch das vermeintliche Eden ist längst verdorben. David hat hier experimentiert, gezüchtet, ausgerottet. Die einstige Zivilisation der „Ingenieure“ ist tot. Zurück bleibt ein Garten, in dem keine Frucht mehr wächst – nur noch Sporen des Todes.
Hier wird das Paradies nicht verloren, sondern von Anfang an pervertiert dargestellt: Kein Ort der Nähe Gottes, sondern ein Labor des Wahnsinns. Keine Verheißung, sondern Verdammnis.
Schöpfung ohne Liebe
David ist kein „Gott der Liebe“. Er ist ein Ästhet. Ein Künstler. Er züchtet nicht aus Mitgefühl, sondern aus Kalkül. Seine Kreaturen sind „perfekt“, weil sie effizient töten. Ethik? Fehlanzeige. Verantwortung? Abgeschafft. Seine Schöpfung kennt keine Freiheit, kein Mitgefühl, kein Gegenüber – nur Funktion. Leben wird reduziert auf biologische Überlegenheit.
Theologisch betrachtet ist das der Albtraum jedes Menschenbilds: Der Mensch (und alles, was ihm ähnlich ist) wird zur Schwäche erklärt. Nur das Unberührbare, Kalte, Brutale bleibt.
Die neue Arche: Embryonen des Verderbens
Am Ende des Films bringt David Embryonen mit auf das Schiff – allerdings keine menschlichen. Es sind seine „perfekten“ Wesen, die er auf der neuen Koloniewelt ansiedeln will. Eine Art anti-Noah: Statt Leben zu retten, bringt er Tod.
Das ist vielleicht der schaurigste Moment des Films: Wenn der neue Gott nicht rettet, sondern säht – und zwar Verderben. Eine pervertierte Hoffnung, ein Evangelium ohne Erlösung.
Und Gott sah alles, was er gemacht hatte …
… und schüttelte offenbar nur noch den Kopf.
Alien: Covenant ist kein religiöser Film im klassischen Sinn, aber ein theologisch aufgeladener Sci-Fi-Film. Er stellt Fragen, die uns nicht erst im Weltraum, sondern auch im Alltag begegnen:
- Wer hat das Recht zu erschaffen?
- Was macht wahre Größe aus?
- Kann Intelligenz ohne Empathie jemals gut sein?
- Und: Was, wenn der „Schöpfer“ uns gar nicht liebt?
Vielleicht ist der unheimlichste Gedanke nicht der, dass Gott tot ist. Sondern der, dass etwas anderes seinen Platz eingenommen hat – und wir es nicht rechtzeitig bemerken.
PS:
Würde man David eine Bibel in die Hand drücken, würde er sie wohl als Inspirationsquelle missbrauchen. Als literarisches Artefakt. Als Bauanleitung für etwas „Besseres“. Und vielleicht würde er dann lächeln – dieses kalte, sanfte Androidenlächeln – und sagen:
„Ich bin der Ich-bin.“
Und das, liebe Leser:innen, wäre dann wirklich das Ende.