Von der Grundschule voller „Onkel Tom“-Rufe bis zu einer Reise über Kontinente und Generationen: Meine Suche nach meinen Wurzeln führte mich von Deutschland nach Afrika, in die Karibik, zu den Cherokee, in die Südstaaten – und wieder zurück zu mir selbst.
Es ist die Geschichte davon, wie man lernt, alle Teile seines Erbes zu umarmen – auch wenn sie manchmal miteinander im Konflikt stehen.
Ich bin zwischen allen Welten geboren – und zwischen allen immer wieder gestrandet.
In Deutschland war ich von Anfang an „anders“. Schon in der Grundschule bekam ich zu hören: „Du bist zu schwarz, um weiß zu sein.“
Es blieb nicht bei Worten. Kinder spielten „lass uns Sklaven spielen“ und drückten mir Rollen auf, die nach Ketten rochen. Sie nannten mich „Onkel Tom“. Bei den Jugendlichen blieb es später nicht bei Worten – es ging bis zu Schlägen mit Fäusten, Stöcken und Ledergürteln auf meinen Rücken.
Tag für Tag, von der ersten Klasse bis zum Ende der Realschule, war es ein ständiger Tropfen, der in die Haut brannte. Die deutsche Sprache fühlte sich nicht nach Heimat an, sondern nach einer Waffe, die man gegen mich richten konnte.
Ich verband mit „deutsch“ nichts Warmes, nichts, worin ich mich hätte spiegeln wollen.
Gleichzeitig wuchs ein anderer Gedanke: Vielleicht würde ich woanders mehr dazugehören. Deutschland war für mich nicht nur Heimat, sondern auch der Ort, an dem mir immer wieder subtil oder offen gesagt wurde, dass ich „anders“ sei. Die Frage „Wo kommst du wirklich her?“ wurde zu einer Nadel, die immer wieder in die gleiche alte Wunde stach. Irgendwann wollte ich weg – raus aus diesem Land, das mich einerseits prägte und andererseits nie ganz annahm.
Später lernte ich den anderen Stachel kennen: „Du bist zu weiß, um schwarz zu sein.“
Kein Platz, der wirklich mir gehörte. Kein „Wir“, in das ich mich einfach hineinfallen lassen konnte. Ich gehörte ich nirgends ganz dazu – nicht hier, nicht dort. Die Botschaft zwischen den Zeilen war klar: Du bist nicht wirklich eine von uns.
Der Weg führte mich fort aus Deutschland. Ich ging, weil ich nicht mehr den ständigen Blicken und Bemerkungen ausgesetzt sein wollte. Weil ich hoffte, dass das Fremdsein vielleicht nur ein deutsches Phänomen sei.
Und ich suchte – nicht nur nach einem Ort, sondern nach mir selbst.
So begann meine Suche nach meinen Wurzeln – wie ein Mensch, der an einer Küste steht und auf das Meer hinausschaut, im Glauben, dass irgendwo dahinter Land ist, das meinen Namen kennt.
Diese Unsicherheit fraß sich tief in mich hinein. Ich wollte wissen, wer ich war – nicht nur auf dem Papier, sondern in den Geschichten, Liedern und Sprachen meiner Ahnen. Ich suchte nach Erklärungen: in Familienerzählungen, in vergilbten Fotoalben, später in Stammbäumen und DNA-Analysen. Jede Spur führte mich weiter weg von der Vorstellung einer „klaren Herkunft“.
Mit jeder Entdeckung wurde mein Bild klarer – und zugleich komplexer. Ich verstand, dass meine Identität kein einzelner Stammbaum ist, sondern ein ganzes Waldstück. Westafrikanische Rhythmen, karibische Strömungen, indigene Erde, jüdische Melodien – alle fließen in mir zusammen.
Lange habe ich gedacht, ich müsste mich für eine Seite entscheiden, um irgendwo ganz dazu zu gehören. Heute lade ich alle Seiten ein, an meinem Tisch Platz zu nehmen.
Ich gehörte nirgends ganz dazu, und doch trugen meine Wurzeln mehr Geschichten, als ich damals ahnte.
Die Suche nach diesen Geschichten wurde zu meinem Kompass. Erst tastend, dann mit den Möglichkeiten des Internets, durch alte Fotos, Gerüchte, Stammbäume und schließlich DNA-Analysen. Ich folgte den Spuren: nach Westafrika zu den Igbo, über die Karibik, nach Puerto Rico und den Taino, zu den Plantagen in den Carolinas und Georgia, wo sich Wege mit den Cherokee kreuzten. Auf den Dawes Rolls und Freedmen Rolls fand ich Namen, die meine Blutlinien bestätigten. Und jenseits davon die jüdische Seite, verborgen bis ins Erwachsenenalter – von der Slowakei und dem Nahen Osten her, über Generationen verborgen.
So wurden aus verstreuten Inseln ein Kontinent aus Geschichten. Westafrikanische Rhythmen, karibische Strömungen, indigene Erde, jüdische Melodien – alle vier Himmelsrichtungen in meinem Blut. Manchmal stritten sie, wer den Vorrang hat. Heute lade ich sie alle an ein Feuer ein.
Mit den Jahren legte ich Schicht um Schicht frei, bis ich das ganze Mosaik sehen konnte:
Jüdische Wurzeln – sowohl ashkenasisch als auch sephardisch/mizrachisch.
Afrikanische Ahnen, die sich nicht nur in der Karibik wiederfanden, sondern auch in den Carolinas und in Georgia.
Indigene Wurzeln – Cherokee, und ebenso Cherokee Freedmen.
Und etwas, das in einer Welt besessen von „reinrassigen“ Kategorien fast wie ein Affront klingt: 0 % Westeuropa. Kein Tropfen aus Deutschland in meiner DNA – und doch hat Deutschland meine Kindheit und Jugend geprägt, mit allen Narben, die daraus erwachsen sind.
Heute stehe ich zwischen Identitäten, die manchmal in Liebe zueinander stehen, manchmal in offener Spannung.
Ich gehöre zu allen – und zu keiner ganz.
Ich trage Geschichten, die sich nicht in einer Flagge, nicht in einem Stammbaum unterbringen lassen.
Ich habe gelernt, in dieser Vielheit zu leben – nicht immer ohne Schmerz, aber mit dem Wissen, dass aus vielen Strömen ein eigener Fluss entstehen kann.
Es war nicht immer leicht, „alles unter einen Hut zu bringen“.
Oft lebte ich phasenweise mit einer stärkeren Betonung auf einen Teil meiner Herkunft – mal mehr im Kreis der jüdischen Gemeinschaft, mal stärker eingebettet in die indigene oder afroamerikanische Kultur.
Doch je tiefer ich suchte, desto klarer wurde: Ich bin nicht entweder-oder. Ich bin alles.
Und trotzdem ist es bis heute nicht einfach.
Besonders schmerzhaft wird es, wenn Teile einer Gemeinschaft einer anderen feindlich gegenüberstehen – so wie jetzt, wenn viele in der BiPoC-Community von anti-israelischer Propaganda beeinflusst sind. Dann stehe ich plötzlich zwischen „meinen eigenen Leuten“ – und fühle mich als Jüdin nicht mehr sicher. In manchen Gemeinschaften fühlte ich mich zu Hause – und stieß doch an Grenzen, wenn Vorurteile, Ignoranz oder offene Feindseligkeit ins Spiel kamen.
Trotz all dieser Spannungen sind alle diese Wurzeln ein Teil von mir.
Sie gehören zusammen – in mir.
Und ich habe aufgehört, mich dafür zu entschuldigen, dass ich viele Heimaten habe.
Ich ging durch verschiedene Etappen meiner Identitätssuche.
Phasen, in denen ich mich vor allem mit der einen Seite meiner Wurzeln verband – und andere, in denen die andere Seite stärker im Vordergrund stand. Es war nicht immer leicht, alles „unter einen Hut zu bringen“.
Trotz allem begegnete ich in jeder Gemeinschaft Menschen, die mir halfen, meinen Platz zu finden – manche von ihnen sind für mich wie Familie geworden. Stück für Stück lerne ich, nicht zwischen meinen Wurzeln wählen zu müssen, sondern sie nebeneinander leben zu lassen, auch wenn es manchmal unbequem ist.
Meine Wurzeln sind weit verzweigt. Und sie tragen mich – auch wenn der Boden sich manchmal verändert.
Über das Header-Bild

Das Bild, das diesen Artikel einleitet, ist mehr als nur Dekoration – es ist meine Geschichte in Symbolen.
Links tragen kräftige Blätter und tropische Farben die Karibik in sich, dazwischen Muster und Texturen, die Westafrika anklingen lassen. Die warme Farbpalette erzählt von Sonne, Ozean, Hitze.
Die große, geschwungene Feder steht für die indigenen Einflüsse – für die Erinnerung an jene Kulturen, die Kolonialismus und Vertreibung überlebt haben.
Und dann, leuchtend und klar: die Menorah – ein Symbol meines jüdischen Erbes, meiner Spiritualität und meiner Geschichte.
All das fließt in den Hintergrund über, ohne sich gegenseitig zu verdrängen. Es ist keine makellose Verschmelzung – sondern eine lebendige Koexistenz. So wie in mir.
Das Bild fasst diese Vielschichtigkeit in einer einzigen Komposition zusammen.
Die Farben und Symbole stehen für die verschiedenen Linien meiner Herkunft – jüdische Wurzeln, afrikanische Geschichte, indigene Identität – und doch fließen sie ineinander, nicht nebeneinander.
Die Übergänge sind bewusst weich gezeichnet, um zu zeigen: Ich bin nicht in getrennte Teile zu zerlegen.
Gleichzeitig gibt es Kontraste, Kanten und Brüche – denn mein Weg war nie nur harmonisch, sondern auch voller Reibung und Widerstand.
Das Bild ist kein Wappen, das etwas Besitzergreifendes beansprucht. Es ist eine Landkarte, die den Fluss meiner Herkunft zeichnet.
Schlusswort
Vielleicht ist das der wahre Kern meiner Identität:
Nicht, dass ich zwischen Welten stehe – sondern dass ich sie trage.
Jede Wurzel hat ihren eigenen Rhythmus, ihre eigene Farbe, ihre eigene Geschichte.
Und auch wenn sie manchmal knarren, wenn der Wind weht – sie halten mich.
Ich bin nicht die Summe ihrer Brüche, sondern der Boden, in dem sie zusammenfinden.
Alle meine Wurzeln. Alle gehören dazu.
Meine Wurzeln sind wie Flüsse, die aus unterschiedlichen Landschaften kommen.
Manche fließen aus heißen, goldenen Küsten, andere aus staubigen Savannen, wieder andere aus uralten Städten, in denen Kerzen im Winterlicht brennen.
Lange Zeit habe ich versucht, sie getrennt zu halten – aus Angst, dass sie sich widersprechen.
Doch irgendwann habe ich begriffen: Sie wollen ins gleiche Meer.
Heute stehe ich an dieser Mündung.
Das Wasser ist nicht klar – es ist tief, lebendig, voller Strömungen.
Und es ist meins.
Ich habe keine einzelne Wurzel, die mich hält.
Ich bin ein Geflecht.
Ich bin ein Baum, dessen Äste in viele Himmel reichen und dessen Wurzeln in Erde ruhen, die sich über Kontinente spannt.
Ich trage in mir das Salz des Atlantiks, den Staub alter Wüsten, den Atem der Berge, den Herzschlag der Sümpfe.
Ich bin Kind derer, die gingen, und derer, die blieben.
Kind derer, die Ketten trugen, und derer, die ihnen die Schlüssel gaben.
Ich bin nicht hier, um mich zu erklären –
ich bin hier, um zu wachsen.
Und jeder Wind, der mich bewegt, erzählt mir nur wieder,
dass meine Wurzeln nicht weniger sind,
weil sie viele sind.