Slam vom Luzerner Pride-Slam am 21. August 2025
(Oder: Warum mein Körper offenbar öffentliches Eigentum ist)
[1. Einstieg]
Basel. Migros.
11 Uhr 13.
Ich stehe vorm Lachs.
Gestreift.
Kühl.
Still.
Ich bin ungeschminkt, verschwitzt –
Kein Mascara.
Kein Lidstrich.
Kein Filter.
Nicht bei dieser Hitze.
Und sicher nicht –
für die Kühltheke beim Fisch.
Denke nichts Böses –
und werde angeschrien.
„Sind Sie ein Mann?“
Ich blinzele.
Vielleicht ist es der Lachs, den sie meint?
Vielleicht sind wir alle Fische,
nur in unterschiedlichen Aggregatzuständen.
Aber nein – ich bin gemeint.
Ich.
Körper.
Dekolleté.
Offensichtlich öffentliches Interesse.
„Ich muss das wissen!“
Ah ja?
Warum?
Ist heute Kontrolltag?
Wird an der Kasse nach Geschlecht abgerechnet?
„Ich muss das wissen!!“
Sagt sie.
Türkises Shirt.
Türkiser Kajal.
Kajal wie mit der Gießkanne,
Lippenstift im freien Interpretationsmodus.
Kunst oder Unfall – unklar.
Und ich – ohne Mascara.
Tja.
Da kann man schon mal
die Gender-Koordinaten verlieren.
[2. Selbstironie]
Ich sag: „Nein.“
Was auch immer das heißen soll.
Ich hätte auch sagen können:
„Ich bin ein liturgischer Zwischenraum.“
Oder:
„Ich bin das Dazwischen, das dich nervös macht.“
Aber meine Schlagfertigkeit
kommt grundsätzlich mit der B-Post.
Lieferzeit: 15 Minuten.
Mindestens.
[3. Nachklang & Reflexion]
Und während meine Synapsen
noch mit dem Fahrstuhl unterwegs sind,
stürmt sie Richtung Kasse.
Ohne Auflösung.
Kein Abspann.
Kein Applaus.
Kein „Verzeihung“, kein „Sorry“,
kein „Wow, wie schön, dass es Sie gibt.“
Ich steh noch kurz beim Lachs.
Verwirrt.
Dann geh ich auch zur Kasse.
Steh knapp hinter ihr.
Will was sagen.
Sie sieht mich –
und rennt.
Ich mein das wortwörtlich:
Sie flieht.
Flüchtet.
Vor mir.
Vor meiner Existenz.
Vor meiner Antwort auf ihre Frage.
(kurz halten)
Tja.
Vielleicht war ich zu viel.
Zu queer.
Zu da. //
Ich bleibe zurück.
Mit Fragen.
Und einem leicht beleidigten Lachs.
Wer gibt Menschen das Gefühl,
sie hätten Anspruch auf mein Etikett?
Wieso glauben Leute,
ihr innerer Kompass funktioniere nur,
wenn sie mich eichen können?
[4. Reimpassage – „Normalität“]
Was ist normal?
Wer definiert’s?
Wer normt den Menschen,
wenn Gott uns ziert?
Was ist ein Körper –
und wessen Besitz?
Was ist Geschlecht?
Und was ist ein Witz?
Ich bin kein Rätsel,
das du lösen musst.
Ich bin keine Prüfung,
kein Gender-Schluss.
Ich bin ein Körper,
kein Kreuzworträtsel.
Ich bin kein Mann,
kein Frauennetzel.
Ich bin ich.
Und ich bin hier.
Und ich bin queer.
Biologisch und ganz real.
Ganz banal.
Ganz wunderbar.
[5. Coming-out mit Biss und Herz]
Ja, mein Körper ist queer.
Nicht als Haltung.
Nicht als Fashionstatement.
Sondern biologisch.
Ich bin intergeschlechtlich.
Das steht so im Befund.
Nicht auf der Wurstpackung.
Sondern in meiner DNA.
Ich bin –
die Statistik, die nicht passt.
Der Fußnotenfall.
Der Alptraum der binären Welt.
(ironisch)
Und wissen Sie was?
Ich hab lange gedacht:
Ich bin das Problem.
Keins von beidem. / Beides. / Etwas Drittes.
Etwas Heiliges vielleicht?
Ich bin intergeschlechtlich.
Mein Körper ist queer,
nicht metaphorisch,
Sondern handfest.
Labormedizinisch unklassifizierbar.
Ein Gottes-Kunstwerk ohne Schublade.
Heute sag ich:
Nein, ich bin nicht das Problem.
Das Problem ist der Zwang zur Eindeutigkeit.
Die Sehnsucht nach Sortierbarkeit.
Du – normal.
Ich – Fragezeichen.
Aber was ist eigentlich „normal“?
Normal ist,
dass Menschen lieben.
Menschen.
Nicht Schubladen.
Nicht Chromosomen.
Menschen mit Herzschlag.
Mit Humor.
Mit Honig in der Stimme.
Ich liebe menschlich,
mal gegen und mal gleichgeschlechtlich.
Bisexuell, sagen die Akten.
Ich sag: Menschlich. Herzlich. Hübsch verteilt.
Ich liebe.
Punkt.
Und wenn das stört,
dann bist nicht du in Gefahr –
sondern dein Weltbild.
Und wenn du findest,
das sei „nicht normal“,
dann frag ich zurück:
Was genau an der Liebe ist dir zu queer?
Das Kichern am Morgen?
Das Händchenhalten im Regen?
Oder ist es einfach die Tatsache,
dass ich existiere,
ohne dich vorher um Erlaubnis zu fragen?
[6. Abschluss – poetisch-theologisch]
Gott hat mich nicht als Rätsel gemacht,
sondern als Antwort,
die niemand bestellt hat.
Ich bin nicht die Ausnahme –
ich bin der Beweis,
dass Schöpfung keine Norm kennt,
sondern Fülle.
[Mini-Reimschluss]
Gott hat nicht „männlich“
oder „weiblich“ gedacht.
Gott hat gesagt:
„Licht. Wasser. Vielfalt. Pracht.“
Und dann hat Gott gelächelt –
und die Lachsfilets gestreift.
Und weißt du was?
Wenn du wieder mal fragst:
„Sind Sie ein Mann?“
Dann sag ich vielleicht:
„Ich bin gemacht nach Gottes Bild –
und dein Bild scheint mir ein bisschen unscharf.“
(grinst)