Predigt zur Christnacht

Es ist jedes Jahr dieselbe Geschichte.
Maria und Josef.
Der Weg nach Bethlehem.
Das Kind in der Krippe.

Wir kennen sie gut. Wir haben sie oft gehört.
Und doch kommen wir jedes Jahr wieder – gerade an diesem Abend.
Vielleicht, weil diese Geschichte etwas berührt,
das in uns nicht alt wird:
unsere Sehnsucht nach einer heilen Welt.
Nach Liebe, die trägt.
Nach einem Gott, der keine Angst macht.
Nach Licht in der Dunkelheit – wenigstens heute Nacht.

Die Weihnachtsgeschichte beginnt mit einem Satz,
der auf den ersten Blick gar nicht weihnachtlich klingt:

„Es begab sich aber zu der Zeit,
dass ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging,
dass alle Welt geschätzt würde.“

Warum beginnt die Geschichte von Jesus‘ Geburt
mit einem Befehl eines Kaisers?

Augustus steht für Macht.
Für Ordnung.
Für Kontrolle.
Er zählt Menschen.
Er will wissen, wer dazugehört – und wer nicht.

Und mitten in diese Welt der Macht,
der Zahlen und Befehle,
wird ein Kind geboren.

Kein Gegenspieler auf Augenhöhe.
Kein politisches Manifest.
Kein Aufstand.

Nur ein Kind.

Vielleicht will uns die Geschichte gleich zu Beginn zeigen:
Hier treffen zwei Arten von Macht aufeinander.
Die eine ist laut, sichtbar, durchsetzungsstark.
Die andere ist leise, verletzlich, unscheinbar.

Und Gott entscheidet sich für die zweite.

„Und sie gebar ihren ersten Sohn
und wickelte ihn in Windeln
und legte ihn in eine Krippe,
denn sie hatten keinen Raum in der Herberge.“

Warum kein Platz?

War alles zu voll?
Zu beschäftigt?
Zu organisiert?

Oder gehört es vielleicht genau so zur Geschichte:
Dass Gott nicht dort ankommt,
wo alles vorbereitet ist,
sondern dort, wo es eng ist.

Die Krippe ist kein romantischer Zufall.
Sie ist ein Zeichen.

Gott kommt nicht in Paläste.
Nicht in perfekte Verhältnisse.
Nicht in eine heile Welt.

Gott kommt in die Enge.
In das Provisorische.
In das Unfertige.

Vielleicht, weil Gott genau dort sein will,
wo wir selbst oft stehen:
zwischen Hoffnung und Erschöpfung,
zwischen Sehnsucht und Realität,
zwischen dem Wunsch nach Frieden
und der Erfahrung von Unruhe –
in uns und in der Welt.

Und dann sind da die Hirten.

Menschen am Rand.
Nachts draußen.
Wachend, arbeitend, nicht eingeladen zu den großen Festen.

Ihnen erscheint der Engel.
Und das Erste, was er sagt, ist nicht:
„Glaubt!“
Nicht: „Ändert euer Leben!“
Nicht: „Jetzt müsst ihr etwas tun!“

Sondern:

„Fürchtet euch nicht.“

So beginnt Weihnachten.
Nicht mit einer Forderung.
Sondern mit Entlastung.

Hab keine Angst.
Du musst nichts leisten.
Du musst nichts beweisen.
Du musst nicht perfekt sein.

Gott kommt nicht, um zu erschrecken.
Gott kommt, um nahe zu sein.

Vielleicht ist das der tiefste Trost dieser Nacht:
Dass Gott sich so zeigt,
dass niemand Angst haben muss.

Nicht die Hirten.
Nicht Maria.
Nicht Josef.
Und auch wir nicht.

Wir leben in einer Zeit,
in der vieles Angst macht.
Kriege.
Spaltungen.
Unsicherheiten.
Manchmal auch die eigenen Gedanken in der Nacht.

Die Weihnachtsgeschichte verspricht uns keine heile Welt.
Sie sagt nicht: Alles wird gut.

Aber sie sagt:
Gott ist da.

Mitten hinein.
Nicht über den Dingen.
Nicht fern.
Nicht unberührbar.

Ein Gott, der klein wird,
damit wir uns ihm nähern können.
Ein Gott, der leise kommt,
damit wir ihn nicht fürchten müssen.
Ein Gott, der Licht bringt –
nicht grell, nicht blendend,
sondern warm, sanft, tragfähig.

Und vielleicht reicht das für diese Nacht.

Nicht die Lösung aller Probleme.
Nicht der Frieden für die ganze Welt – noch nicht.

Aber ein Licht,
das wir mitnehmen können.
Ein Licht, das sagt:
Du bist nicht allein.

Was für ein Gott ist das,
der so zur Welt kommt?

Es ist kein ferner Gott.
Kein Gott der Höhe und der Distanz.
Sondern ein Gott,
der sein Zelt unter den Menschen aufschlägt.
Ein Gott, der wohnt –
nicht im Glanz der Paläste,
sondern mitten im Leben.

Ein Gott ohne Angst.
Wie das Licht der Schöpfung am ersten Tag,
das einfach da ist
und die Dunkelheit nicht bekämpft,
sondern erhellt.
So kommt Gott:
nicht mit Gewalt,
nicht mit Drohung,
sondern mit Licht.

Ein Gott der Nähe.
Einer, der sagt:
Ich bin da.
Ich gehe mit.
Ich lasse dich nicht allein.
Wie der Ewige,
der sein Volk begleitet hat
durch Nacht und Wüste,
durch Ungewissheit und Hoffnung.
So liegt dieses Kind in der Krippe –
nicht fern,
sondern greifbar nah.

Und es ist ein Gott der Hoffnung.
Nicht der schnellen Antworten,
sondern der Treue.
Der Hoffnung,
die sich Zeit nimmt.
Die wächst.
Die bleibt.
Wie eine Verheißung,
die leise ausgesprochen wird
und doch trägt.

Darum brennt Licht in dieser Nacht.
Darum singen wir.
Darum erzählen wir diese Geschichte
immer wieder.

Nicht, weil die Welt heil wäre.
Nicht, weil alles leicht geworden ist.

Sondern weil wir glauben:
Das Licht scheint in der Dunkelheit.
Und die Dunkelheit hat es nicht ausgelöscht.

Und vielleicht ist das die weihnachtliche Freude dieser Nacht:
Dass Gott nicht auf das Ende der Dunkelheit wartet,
sondern mitten darin kommt.

Ein Gott,
der uns wärmt.
Der Hoffnung atmet.
Der sagt:
Das Leben ist gesegnet.
Auch jetzt.
Gerade jetzt.

Und darum feiern wir diese Nacht.
Mit offenen Herzen.
Mit vorsichtiger Freude.
Mit dem Vertrauen,
dass Gottes Licht weiter leuchtet
als unsere Angst.

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