Nach Transgender Day of Visibility

Der Transgender Day of Visibility (Transgender Tag der Sichtbarkeit) am 31. März liegt nun zwar hinter uns, aber sichtbar bin ich immer, das ganze Jahr durch. Ich gehe in der Regel sehr offen mit meinem trans-Sein um, denn ich möchte mich nicht mehr verstecken. Einfach ich selbst sein und Sichtbarkeit für andere ist mir wichtig. Intergeschlechtliche Sichtbarkeit ist genauso wichtig. Trans Menschen und Intergeschlechtliche Menschen sind nicht dasselbe, auch wenn wir einiges gemeinsam haben, und uns einiges eint. Manche intergeschlechtliche Menschen können trans sein, so wie ich. Manchmal habe ich ein schlechtes Gewissen, dass ich mich nicht genauso für intergeschlechtliche Belange eingesetzt habe, wie für trans Themen – doch ich kann nicht alles machen. Gleichzeitig bin ich intergeschlechtlichen Menschen und InterAction dankbar, denn am Anfang meines Weges haben sie mir geholfen, einiges zu verstehen. Geht doch mal auf ihre Seite und unterstützt sie.

Wie gesagt, sichtbar sein ist wichtig für mich.

Ich konnte mein Leben lang nie ganz ich selbst sein und musste mich verstellen und verstecken – von meiner Geschlechtsidentität und meiner Sexualität bis zu meiner Spiritualität und meinem Humor. Als Autist musste ich eine Maske tragen aus Angst, so nicht akzeptiert zu werden, wie ich bin. Das will ich nicht mehr. Ich laufe zwar nicht durch die Gegend und stelle mich vor indem ich sage „Hallo, ich bin Ari und ich bin trans“ – nein, ich bin einfach nur Ari- aber wenn die Sprache darauf kommt, verstecke ich es auch nicht, oder mache meinen Mund auf, wenn notwendig (oder nützlich).

Hätte ich in meinem Leben früher positive Beispiele von transness gehabt, dann wäre ich vielleicht schneller auf den Trichter gekommen. Vielleicht wären mir die Konversionstherapien und Exorzismen nicht erspart geblieben, aber ich hätte doch schneller gewusst und verstanden was los ist. Ich bin deswegen nicht verbittert (auch wenn ich mich manchmal frage, was hätte sein können), aber ich möchte ein Beispiel und eine Ermutigung für andere Queers sein: was geht, und auch, dass es nie zu spät ist, sich selbst zu sein.

Und auch gegenüber den Nicht-Queers, den Cis-Menschen, also nicht-trans Menschen: hey, wir sind keine komischen Freaks oder Ausserirdische, sondern ganz einfach Menschen mit Träumen, die lieben und leben wollen. Ich möchte gesehen werden, auf eine positive Art und Weise – so wie jeder Mensch wahrgenommen werden möchte, als die Person, die sie ist.

Ich habe positive Erfahrungen gemacht: liebe Menschen, verständnisvolle, gelassene, humorvolle; gute Erfahrungen auf der Arbeit in der Parfumeriebranche oder im Makeup, und genauso in der reformierten Kirche der Schweiz. Ich mag es, offen und mit einem Lächeln auf Menschen zuzugehen. Ich sehe gerne und am liebsten nur das Gute im Menschen. Und oft lohnt es sich.

Gleichzeitig gibt es auch die Kehrseite – Sichtbarkeit kann seinen Preis haben. Auf social media kommt dies dann meist in Form von Hasskommentaren wie „ich toleriere deine Existenz nicht“, „du bist doch krank“ oder „go unalive yourself“. Das Pendant dazu sind Kommentare, die ich das eine oder andere mal auf der Strasse gehört habe, und das zu 100% von cis Männern (sag ich jetzt mal so): „Tr*nse, Schw*chtel, P*do“ – wobei sich da Transfeindlichkeit und Schwulenfeindlichkeit mischen.

Privatnachricht, am Transgender Day of Visibility bekommen. Mein Post dort war über Trans Joy & trans bodies are good. Nix mit Sex.

Etwas, das auch oft passiert, wenn man als trans Person sichtbar ist, ist die Fetischisierung von trans Menschen. Unsere Körper werden aus irgendwelchen Gründen objektifiziert, fetischisiert. Dass wir Menschen sind, vergessen viele dabei – die Wortlaute von Nachrichten und Chatverläufen die ich bisher zu Hauf bekommen habe, gebe ich hier besser nicht wieder. In der Regel geht es darum, dass trans Menschen etwas exotisches sind, dass unbedingt ausprobiert werden muss, und dies meistens von (oft weissen) cis Männern.

Das ist kein Kompliment – weit gefehlt! Denn auch wenn ich Sex mag, bin ich kein Objekt, das einfach mal angeschrieben wird, wo man sich über die Konfiguration der Geschlechtsorgane erkundigt, Bilder will und dann angibt, in welchen Stellungen wie was dann ausprobiert werden will – um mich hinterher, wenn die eigene Lust befriedigt ist, wieder wegzuwerfen. Als wären wir keine echten Menschen mit Gefühlen, sondern nur aufblasbare Gummipuppen, oder diese real life Sexdolls.

Wenn beidseitig casual sex gewünscht ist, ist das eine Sache; aber die Fetischisierung von trans Körpern und Identitäten bis hin zur Existenz von sogenannten „Chasern“ (und auch die Fetischisierung von intergeschlechtlichen Körpern!) ist ein Übel, über welches noch nicht genug geredet wird (ich will nicht, dass sich jemand zu mir hingezogen fühlt, nur weil ich trans bin; sondern wegen meiner ganzen Persönlichkeit). Oder das geht so wie es mir letztes Jahr erging, wo vorgegaukelt wurde, dass trans kein Problem ist, es dann aber doch eines ist, und der Nachmittag in Vergewaltigung und Rippenprellung endet.

Aber das wird nichts an meiner Sichtbarkeit ändern.

Aufklärung und Sensibilisierung sind nach wie vor wichtig. Es ist schon einiges erreicht worden, und die Generationen vor uns haben Grossartiges geleistet. Und dennoch müssen wir wachsam bleiben. Es gibt noch viel zu tun. Es gibt noch viel Liebe zu verteilen, Hoffnung zu geben. Es gilt, zusammen mit unseren Allies füreinander da zu sein.

In unserem heutigen Klima, in dem die Transfeindlichkeit immer weiter steigt und von Politikern bewusst geschürt wird, ist dies absolut notwendig. Denn, „ihr habt doch alles, was wollt ihr denn?“ zählt nicht, wenn mensch sich so umschaut:

Die Schürenden, das sind nicht nur die AfD mit ihren menschenverachtenden Diskursen im „grossen Kanton“, die sich geradewegs in ihrem Hass und ihrer Verachtung für alles, das anders ist, suhlen. Die Debatte um das Selbstbestimmungsgesetz nimmt mehr als unschöne Auswüchse an, um es gelinde zu sagen, auch Alice Schwarzer und Kohorten sei Dank.

Das sind nicht nur die Republikaner im fernen USA, die in einem Staat nach dem anderen trans Menschen auslöschen wollen, durch immer feindlichere Gesetzgebungen zum Detransitionieren zwingen (Jugendliche, aber auch Erwachsene), wo eine trans Person, die auf eine öffentliche Toilette geht, zum Verbrecher wird (gar, wenn sie sich nur in der Öffentlichkeit bewegt! Ermessensspielraum der Polizei…), Lehrer, die zum misgendern gezwungen werden und zum outen der Schüler, selbst wenn den Kindern/Jugendlichen zu Hause Misshandlung und/oder Rauswurf droht usw; die Drag in Gegenwart von Minderjährigen oder in der Öffentlichkeit verbieten, Drag aber so definieren, dass es auf trans Personen zutrifft, d.h. Ausschluss von trans Personen aus dem normalen, öffentlichen Leben (Geschäfte, Restaurants, Theater, Vereine, Clubs, einfach nur die Strasse entlang laufen…).

Die Schürenden, die gibt es auch hier, und diese Tendenzen überqueren alle Graben: sei es den Ozean, die Landesgrenzen oder den Röstigraben.

Da ist ein Ueli Maurer, ehemäliger Bundesrat und ehemaliger Schweizer Bundespräsident (!) der alle Nicht-Binären Personen als „Es“ , also als Sache bezeichnet und erniedrigt hat. Dann ist da die SVP – Die Schweizerische Volkspartei, eine 1971 gegründete nationalkonservative, rechtspopulistische, europaskeptische und wirtschaftsliberalepolitische Partei in der Schweiz. Sie ist seit 1999 im Nationalrat die stärkste Partei nach Sitzen und bildet damit die grösste Fraktion in der Bundesversammlung.

So ist der wichtigste Punkt des neuen Parteiprogramms der SVP Schweiz, vorgestellt von Esther Friedli, die Strategie, wie SVP-Vertreterinnen und -Vertreter den «Gender-Terror und Woke-Wahnsinn» bekämpfen sollen. Die SVP will jetzt Gendersternchen verbieten und Gleichstellungsbüros abschaffen. «Wir werden auf allen politischen Ebenen Vorstösse zu diesen Themen einreichen. Vereinzelt haben wir das bereits gemacht, aber wir möchten nun systematischer dagegen ankämpfen» sagte Esther Friedli. «Das ist doch Wahnsinn!» Diese Kultur habe «religiös-fanatische Züge», meinte die SVP-Nationalrätin. Auch solle man Mohren- oder N*gerküsse sagen dürfen, wenn man wolle. Drag Queen Story Hours sollen auch verboten werden.

Das Ganze wird möglichst aufreisserisch auf der Website der Partei vorgestellt, mit einem Foto von queeren Menschen, wahrscheinlich bei einer Pride – so macht man gleich das Feindbild klar. Die Überschrift lautet dann: „Die Freiheit verteidigen – Nein zur absurden Gender-Politik der Luxuslinken“ und weiter, „Mit der sogenannten Cancel Culture samt Gender-Wahn will eine kleine Minderheit bestimmen, was erlaubt ist und was nicht. Die Forderungen werden immer abstruser und greifen unsere freiheitlichen Werte an. Dieser Entwicklung muss die SVP entschieden entgegentreten.“ Es wird wild gemischt zwischen Cancel Culture, Kultureller Aneignung und Gender, man regt sich über die Abschaffung von Pissoirs auf und dass es an Schulen WC’s für alle geben soll (gleichzeitig sollen trans Frauen nicht auf Frauen WC’s – wohin sollen sie denn? Ich hätte da ja Vorschläge, aber die sind nicht unbedingt praktikabel)…

Oder Politiker wie Ruedi Löffel von der EVP der gender affirming care mit Kindesmissbrauch gleichsetzt bzw. diejenigen, die solches anbieten für unter 18-jährige, als „Verbrecher“ betitelt und hofft, dass bald gegen solche, die gender affirming care für Jugendliche anbieten, geklagt wird.

Und natürlich die rechtsextremen und Neonazis wie die Junge Tat und andere Gruppen die von sich reden machen, entweder als Gruppen oder einzelne wie der „Ketzer (Hetzer!) der Neuzeit“ die Hass schüren und in die Tat umsetzen – Attacke des Pride Gottesdienstes in Zürich, der Drag Queen Story hour in Zürich, Aufruf zur Jagd auf trans Menschen und Pfarrer die Homosexuelle trauen, Drag Queens die verprügelt werden als auch andere queere Menschen, oder eine Drag Queen in der Romandie, die regelmässig Personenschutz braucht.

Die Medienlandschaft wird z.T. auch immer transfeindlicher – ob NZZ oder die letzte Reportage der RTS+ „Temps Présent“ in der das Thema Detrans (eigentlich ein wichtiges Thema, ebenso wie die Sorgen der Eltern) mit einer mehr als eindeutigen anti-trans Schlagseite behandelt wurde – und das lag nicht nur an der Abwesenheit der Verbände die mit trans Personen arbeiten. Wenn immer wieder Schlagworte wie Ideologie, Betrug, Sekte, Notwendigkeit des Schutzes von Jugendlichen, Woke Ideologie, Indoktrination und mehr benutzt werden, aber keinerlei frei zugängliche wissenschaftliche Informationen, dass ist dies vollste Absicht.

Auch sind wir als trans Menschen immer noch nicht durch die Antidiskriminierungsstrafnorm abgedeckt und geschützt, und es gibt keine statistischen Erhebungen zu den Lebensrealitäten von trans Personen in der Schweiz. Trans Jugendliche haben immer noch eine fünfmal höhere Suizidrate als cis-Jugendliche; erwachsene trans Personen sind in viel höherem Mass von Arbeitslosigkeit betroffen als cis-Personen. Aus Halbwahrheiten werden Unwahrheiten gemacht um Angst zu machen, und besonders die Themen „trans Kinder und Jugendliche“ als auch das der Detransition werden zunehmend instrumentalisiert und verdreht. Ein gutes Beispiel ist die Sendung Temps Présent der RTS1, aber auch Vereine, Poltiker und Psycholog:innen machen bei diesem Spiel mit. Sorgen von Eltern müssen selbstverständlich ernst genommen werden – aber nicht durch Verleundung und vermehrte Panikmache. Es braucht vielmehr mehr ausgebildete und spezialisierte Therapeut:innen, Psycholog:innen und Psychiater:innen, und das Gesundheitspersonal muss viel mehr auf die Bedürfnisse von trans Personen geschult werden. Ich durfte zu so einer Schulung beitragen, aber es braucht viel mehr davon. Letztendlich braucht es Schutzhäuser, die für trans Personen zugänglich sind, denn trans Menschen sind noch immer häufig Opfer von Gewalt. Das fehlen einer dritten Geschlechtsoption ist nichts anderes als staatliche Diskriminierung und Gewalt gegen nicht-binäre und intergeschlechtliche Menschen, die diese Option wünschen und brauchen.

Oder der Verein Schutzinitiative in Müchenstein, der behauptet, trans Themen in der Schule verursachen Psychosen und Schizophrenie, Sozialpädagogik sei nur eine Pseudowissenschaft, und der auch nicht davor zurückschreckt, Pädophilie zu unterstellen, und bringen Genderideologie und pädophiles Grooming immer wieder zusammen. Der Verein spricht immer wieder von der „Propagierung der Gender-Ideologie, welche Kinder gefährdet und Familien zerstört“, und dass „ein drittes Geschlecht ist ein Phantasiegebilde von radikalen Ideologen und ihren Helfershelfern in Politik, Medien, Internet und Kirchen. Es ist bloss eine soziale Konstruktion, also ein Werkzeug radikaler Systemveränderer, um der LGBT-Ideologie auf allen gesellschaftlichen Ebenen in allen Ländern dieser Welt zum Durchbruch zu verhelfen.“ Das queere Menschen einfach nur mit den selben Rechten wie allen anderen Menschen leben wollen, ist für die Mitglieder dieser „Schutzinitiative“ ein wahrscheinlich zu radikaler Gedanke. Es ist also wahrscheinlich nicht weiter verwunderlich, dass ein Grossteil des Vorstands aus Nationalrät:innen der SVP und EDU stammen. Die EDU ist auch nichts weiter als eine weitere Hasspartei, die ihren Hass mit einer besonderen Art von „Bibeltreue“ begründet – die gleiche Art Bibeltreue, die gerade den Genozid an trans Menschen und (bevorstehenden, google ICWA overturn) indigenen Menschen in den USA begründet. Damit ist schon alles zur und ihrer peuso-wissenschaftlichen Einstellung EDU gesagt (das Motto ihres neuesten Newsletter: „Nicht modern und stolz darauf“).

Nicht modern und stolz darauf… Worauf bin ich stolz?

Auf all die wunderbaren Menschen, die es gibt, die ich kennenlernen durfte (und die ich in meinem Leben noch treffen werde), und die ihren Weg gehen und sie selbst sind; natürlich trans und nicht-binären Menschen, alle Queers, aber auch alle Allies, Freunde, Familie, egal ob sie queer sind oder nicht. Wir schaffen das. Auf alle die Schritte, die schon gegangen wurden. Alle die Liebe, die gegeben wurde, alle Umarmungen, alle Tränen die getrocknet wurden.

Trotz allem, was es noch zu tun gibt, bin ich gleichzeitig froh und dankbar für alles Positive, das es schon gibt – von wunderbaren Menschen, Organisationen und Anlaufstellen bis hin zu kirchlichen Projekten und der theologischen Fakultät in Bern die für mich ein safe space ist. Ebenso bin ich dankbar für Gelegenheiten in den Medien, über trans-sein zu sprechen, sei es Zeitungen wie der Bund und die Berner Zeitung oder die Zeit, in Radios oder im Fernsehen bei SRF1, bei Podiengesprächen oder Sensibilisierungskampagnen bei Firmen und Schulen.

Ich bin dankbar gegenüber der Quelle des Lebens, der Liebenden, Gott – gab mir das Leben, so wie ich bin, dass ich bis jetzt leben durfte und jeden Tag wieder neu aufstehen darf: voll Liebe, voll Trotz, voll Humor. Manchmal ist er etwas schwarz, aber er ist immer da.

Wir schaffen das.
Wir lieben.
Wir gehen vorwärts, alle zusammen.
Wir schaffen das.

Nein, nicht alles ist schlecht und schwarz.
Ich sehe so viel Liebe, und kleine Wunder überall.
Das Leben ist schön und wertvoll.
Liebe…
Wir schaffen das.
Wir sind nicht unsichtbar.

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