Wer bin ich?

Sie sagen:
zu weiß, um Schwarz zu sein.
Zu Schwarz, um weiß zu sein.

Doch meine Vorfahren
pflückten Baumwolle mit blutigen Händen.
Ich höre ihren Schmerz
unter meiner Haut.
Ich trage ihre Stärke
in jeder Zelle.
Ich singe ihre Lieder —
Work Songs.
Spirituals.
Gospels.
Lieder, die den Himmel aufreißen.

Sie sagen:
eine Zionistin ohne Mitleid.

Doch ich bin
Tochter Zion.
Tochter Israels.
Kind der Überlebenden.
Mein Herz liebt mein Volk.
Und weint über das Leid anderer.
Denn Liebe kennt kein entweder/oder.

Sie sagen:
du bist stark.

Doch ich kenne die Müdigkeit.
Die Leere.
Das Ringen nach Atem.
Nach Worten.
Krankheit lebt in mir.
Aber sie herrscht nicht über mich.
Manchmal kraftvoll,
manchmal kraftlos.
Doch immer: voller Liebe.

Sie sagen viel.
Ich bete eins:
Mit Gottes Augen sehen.
Mit Gottes Herz lieben.
Auch wenn es mich zerreißt.

Alles ist Gnade.
Jeder Atemzug Gnade.
Jeder Schritt Gnade.
Gnade atme ich.

Sie sagen:
seltsam.
abwesend.
anders.

Ich bin Autistin.
Meine Welt leuchtet anders.
Tief.
Reich.
Unberechenbar.
Ich sehe die Welt in Farben, Tönen, Licht.
Sie fordert mich, sie beschenkt mich.
Nicht für mich gebaut, doch
ich tanze durch sie —
im Denken, im Tun, im Sein.
Denke, fühle, lebe
auf meine Weise.

Sie sagen:
du kannst nicht wirklich glauben.
Queer.
Intergeschlechtlich.
Doch Gott hat mich gemacht.
Genau so.
Und ich werde Pfarrerin.
Von ganzem Herzen.

Sie sagen:
Gott sei so.
Oder so.

Ich sage:
Gott entzieht sich.
Doch Gott fließt aus jedem Rahmen.
Gott ist Liebe, Bewegung, Gegenwart.
Gott ist Liebe.
Erleben.
Werden.
Ich sehne mich nach Gott —
wie die Mystiker.
Ich ringe mit Gott —
wie Ja’akov am Jabboq.

Ich habe nie um Erfolg gebeten.
Nicht um Ruhm.
Nicht um Macht.
Ich bat um Staunen.

Und Staunen wurde mir gegeben.

Nur zu sein — ist Segen.
Nur zu leben — ist heilig.
Und mein Gebet?
Ein Lied.
Denn wir können nicht leben ohne Lied.

Wer ich auch bin —
Du kennst mich.
Dein bin ich, o Gott.

2 Gedanken zu “Wer bin ich?

Hinterlasse eine Antwort zu Ari Yasmin Lee Antwort abbrechen