Im August werde ich im Basler Münster ordiniert. Ein Übergang, ein Innehalten, ein Ruf.
Diese Zeilen sind mein Versuch, Worte zu finden für das, was sich innerlich formt: eine Berufung, die durch die Kirche bestätigt wird. Eine Sendung, die nicht nur eine Funktion meint, sondern ein Leben im Dienst des göttlichen Wortes. Eine Segnung, die mich in eine Linie stellt – nicht über andere, sondern mit ihnen.
Für mich ist diese Ordination mehr als ein reformierter Ritus. Die Ordination ist mehr als ein liturgischer Akt. Sie ist ein Übergang. Ein In-den-Dienst-Treten. Ein Sich-Einreihen in eine Linie von Menschen, die dem göttlichen Wort dienen – mit Herz, mit Verstand, mit Händen, mit Fragen.
In meinem Innersten fühle ich mich dabei verwoben mit der rabbinischen Haltung: lehrend, lernend, segnend, suchend. Sie erinnert mich an die Smicha – die rabbinische Handauflegung, die nicht Macht verleiht, sondern Verantwortung. Ich verstehe mich nicht als Priesterin, sondern als Lernende. Nicht als Herrin über Glaubenssätze, sondern als Hörende auf Gottes Weisung.
Dieser Text ist Rückblick und Ausblick zugleich. Er ist Dank, Bekenntnis und Vergewisserung.
Ich schreibe ihn als werdende Pfarrerin – und als Pfarrerin im rabbinischen Geiste.
Auf dem Weg zur Ordination
Heute war mein letzter offizieller Kurstag des Vikariats. Ein Abschied in Etappen – einer von vielen Momenten in diesen letzten Wochen, in denen ich spüre: Etwas geht zu Ende. Und etwas Neues beginnt.
Dieses eine Jahr – das Lernvikariat – ist wie im Flug vergangen. Ich weiss noch genau, wie ich angefangen habe: die Ordination schien damals noch weit weg, fast unwirklich. Und doch hat mein Vikariatsleiter von Anfang an an mich geglaubt. Und ich habe gelernt, es auch zu tun.
Inzwischen liegen alle Prüfungen, Berichte und Reflexionen hinter mir. Ich durfte viel lernen – über mich, über Gott, über Kirche, über das Leiten und Dienen, über das Hören, Sprechen und Schweigen. Und über Menschen – so viele wunderbare Menschen. Nicht alles war leicht. Aber alles war wertvoll.
Einen grossen Teil daran hatte auch meine Vikariatsgruppe. Wir waren verschieden, bunt, überraschend. Und wir sind miteinander gewachsen. Was für ein Geschenk, diesen Weg nicht allein zu gehen.
Was ist Ordination?
Der heutige Kurstag war dem Thema Ordination gewidmet. Was ist sie eigentlich – diese Ordination, auf die wir so lange hingearbeitet haben?
In der reformierten Kirche ist die Ordination mehr als nur ein formaler Akt. Sie ist ein Gottesdienst, ein Ritual, eine Segnung – ein Moment der Berufung, der Sendung, der Anerkennung. Die Kirche sagt mit dieser Handlung: Du bist beauftragt. Du bist gesegnet. Du dienst nicht dir selbst, sondern dem Wort. Und du tust es nicht allein.
Das reformierte Ordinationsverständnis betont drei Dimensionen:
- Berufung (Vocatio) – der innere und äußere Ruf, diesen Weg zu gehen.
- Segnung (Benedictio) – durch Gebet und Handauflegung wird Gottes Geist erbeten.
- Sendung (Missio) – die Beauftragung, im Namen der Kirche zu handeln.
Der feierliche Gottesdienst mit Abendmahl und Handauflegung macht sichtbar: Dieser Dienst geschieht eingebettet in die Gemeinde, getragen von der Gemeinschaft und gerufen aus Gnade.
Mehr als ein Titel
Ich werde nach meiner Ordination den Titel Verbi Divini Minister tragen – Dienerin am göttlichen Wort. Was für ein Titel! Was für eine Verheissung!
Er sagt mir, wem ich diene: nicht mir selbst, nicht einer Institution, sondern dem göttlichen Wort. Der Weisung. Dem, was Leben schenkt. Und genau dort – im Begriff der Weisung – beginne ich zu spüren, wie sehr mich mein Amt auch mit der jüdischen Tradition verbindet.
…im rabbinischen Geiste
Wenn ich an meine Ordination denke, denke ich auch an etwas anderes: an Smicha, die jüdische Ordination. Auch dort: Handauflegung, Sendung, Verantwortung. Auch dort: Der Dienst an der Weisung, das Leben aus der Tora. Rabbiner:innen sind keine Priester, sondern Lehrer:innen. Sie tragen, deuten, bewahren – und leben die Frage.
Pfarrer:innen und Rabbiner:innen sind nicht dasselbe. Und doch fühle ich mich verbunden – mit der Haltung, dem Weg, dem Staunen, der Lernbereitschaft. Ich will Pfarrerin sein – im rabbinischen Geiste. Lernende unter Lernenden. Fragende unter Fragenden.
In der Ordination reihe ich mich ein: nicht nur in eine reformierte Tradition, sondern in die lange Linie von Menschen, die die Schrift lieben. Die Weisung suchen. Die nach Gott fragen. Bis hin zu Jesus, dem jüdischen Rabbi aus Nazaret, der Mose zitierte, der betete, der segnete, der erzählte.
Die Ordination macht mich nicht heilig. Sie macht mich nicht unfehlbar. Sie verändert mich nicht magisch. Aber sie verortet mich. Sie sagt mir: Du bist nicht allein. Du dienst mit vielen – vor dir, neben dir, nach dir. Und Gott geht mit.
Pfarrerin im rabbinischen Geiste
Ein poetisches Selbstverständnis
Ich bin keine Priesterin,
ich bin eine Liebende der Schrift.
Kein Orakel, keine Meisterin,
sondern Lernende im Schatten der Tora.
Ich höre – mehr als ich rede.
Ich frage – mehr als ich antworte.
Ich trage – mehr als ich führe.
Ich glaube an das Gespräch.
Ich glaube an die Kraft des Segens.
Ich glaube an Gottes Nähe –
verborgen im Text,
hörbar im Rufen,
tastbar im Mitgehen.
Ich bin gesendet, nicht erhöht.
Gesegnet, nicht ausgezeichnet.
Berufen, nicht besser.
Ich stehe in einer Linie:
Von Mose bis Rabbi Jesus,
Von Deborah bis Hannah Arendt,
Von Ruth bis zu den Frauen am Grab.
Ich diene dem Wort.
Der Weisung.
Der Hoffnung.
Ich bin Pfarrerin im rabbinischen Geiste.
Und ich gehe diesen Weg –
mit ehrfurchtsvollem Herzen
und offenen Händen.