Vorwort
Diese Christologie ist keine fertige Antwort, sondern ein persönlicher Versuch, meinem Glauben mit und an Jesus von Nazareth sprachlich Gestalt zu geben. Sie ist gewachsen aus dem Hören auf die biblischen Texte, aus dem ehrlichen theologischen Ringen, aus meinen Fragen und Erfahrungen auf dem Weg des Glaubens.
Mir ist bewusst, dass es viele Christologien gibt – manche sehr traditionsverbunden, andere spirituell vertieft, wieder andere philosophisch durchdacht. Ich habe großen Respekt vor der Vielfalt der Wege, auf denen Menschen Christus begegnen. Es ist nicht mein Ziel, anderen ihren Glauben abzusprechen oder sie zu korrigieren. Vielmehr suche ich nach einer Sprache, die meinem eigenen Verstehen und Glauben entspricht – im Bewusstsein, dass ich selbst noch unterwegs bin, dass mein theologisches Denken im Werden ist.
Ich schreibe dies nicht, um zu provozieren, sondern weil ich glaube, dass die Theologie ein Raum sein darf, in dem Fragen ehrlich gestellt und unterschiedliche Perspektiven nebeneinander stehen dürfen. Gerade die Spannung zwischen Tradition und persönlicher Suche macht den Glauben lebendig.
Möge dieser Text als Einladung verstanden werden: zum Mitdenken, zum Widersprechen, zum Weiterfragen. Und möge das Gespräch über Jesus von Nazareth und den Christus des Glaubens uns alle näher zu dem führen, den er „Abba“ nannte – dem Ewigen, der uns auf unseren Wegen begleitet.
Einleitung
Christologie – das klingt nach einer großen, fertigen Lehre. Nach dogmatischen Formeln, die über Jahrhunderte gewachsen sind, nach Glaubensbekenntnissen und theologischen Debatten. Ich aber stehe an einem anderen Punkt: Ich frage mich, wer Jesus von Nazareth für mich ist. Und ich versuche, diese Frage ehrlich, offen und respektvoll zu beantworten.
Diese Schrift ist kein vollständiges theologisches System, sondern ein persönlicher Weg durch die biblischen Texte, besonders durch die Evangelien und die Paulusbriefe. Ich frage mich, wie Jesus selbst von Gott gesprochen hat, wie er gehandelt hat und was seine Jüngerinnen und Jünger nach seinem Tod von ihm bezeugt haben. Und ich frage mich, was davon bis heute trägt.
Dabei bleibe ich bewusst im Raum der Fragen:
- Wie können wir heute von Jesus als Christus sprechen, ohne seine jüdische Identität zu verlieren?
- Wie können wir die Erfahrung der Auferweckung ernst nehmen, ohne sie in metaphysischen Begriffen zu erstarren?
- Wie können wir die Traditionen der Kirche würdigen, ohne unsere eigenen Fragen zu unterdrücken?
Meine Antworten sind vorläufig. Ich suche nach einer Sprache des Glaubens, die in den biblischen Quellen verwurzelt bleibt und offen ist für das Weiterdenken.
Diese Texte verstehen sich als Einladung zum Gespräch – mit anderen, mit der Schrift, mit Gott.
Meine persönliche Christologie: Jesus – der jüdische Lehrer, Gesandte Gottes und Auferweckte
Wer ist Jesus von Nazareth?
Jesus von Nazareth ist für mich ein jüdischer Lehrer, der ganz in der Tradition Israels steht. Er wurde als Jude geboren, lebte als Jude und starb als Jude. Seine Lehre, sein Handeln und sein Gebet sind durch und durch im jüdischen Glauben verwurzelt. Er hat die Tora ernst genommen, die Gebote gehalten und die Feste Israels gefeiert (Lk 2,41; Mt 5,17-19). Er hat das „Schema Jisrael“ (Dtn 6,4-5) rezitiert, das jüdische Glaubensbekenntnis: „Höre, Israel, der Ewige ist unser Gott, der Ewige ist einzig.“
Jesus spricht Gott als Abba, als Vater, an – nicht im Sinne biologischer Verwandtschaft, sondern als Ausdruck von Nähe, Vertrauen und Liebe (Mk 14,36). Er selbst aber bleibt betend vor Gott. Er sagt: „Warum nennst du mich gut? Niemand ist gut außer dem einen Gott“ (Mk 10,18). Er lehrt seine Jünger nicht, ihn selbst anzubeten, sondern Gott, den er als den Vater aller Menschen verkündet (Mt 6,9).
Er ist für mich der von Gott Gesandte, ein Prophet, ein Weiser und Lehrer, ein Heiler im Namen Gottes. Die Evangelien zeigen ihn als einen Menschen, der durch und durch in Beziehung zu Gott lebt und handelt, nicht aus eigenem Anspruch oder aus Selbstvergöttlichung.
Wunder und Heilungen – Zeichen des kommenden Reiches Gottes
Die Wunder Jesu sind für mich keine Machtdemonstrationen oder bloße Übernatürlichkeiten. Sie geschehen nicht um ihrer selbst willen, sondern als Zeichen des kommenden Reiches Gottes (Mt 11,4-5).
Jesus heilt Kranke, befreit Menschen von Dämonen, wendet sich den Ausgestoßenen zu – nicht um zu zeigen, wie groß er ist, sondern um zu zeigen, dass mit ihm Gottes neue Welt anbricht.
Wie es im Matthäusevangelium heißt:
„Wenn ich aber die Dämonen durch den Geist Gottes austreibe, dann ist doch das Reich Gottes zu euch gekommen.“ (Mt 12,28)
Und im Lukasevangelium:
„Der Geist des Herrn ist auf mir; denn er hat mich gesalbt, den Armen gute Nachricht zu bringen.“ (Lk 4,18)
Jesus handelt im Namen Gottes, in der Kraft Gottes, als Werkzeug Gottes. Nicht er selbst ist die Quelle der Wunder, sondern Gott, der durch ihn wirkt. Diese Heilungen sind Taten der Barmherzigkeit und Zeichen der Befreiung, die das Reich Gottes sichtbar machen.
Der jüdische Religionswissenschaftler Pinchas Lapide sagte einmal sinngemäß:
„Jesus war ein jüdischer Wundertäter. Seine Wunder sind nicht Zauberei, sondern Zeichen der kommenden Erlösung.“
Der Tod Jesu – Hingabe aus Liebe
Jesus stirbt am Kreuz als ein Mensch, der seine Liebe bis zum Äußersten gelebt hat. Er sagt selbst:
„Es gibt keine größere Liebe, als wenn jemand sein Leben für seine Freunde hingibt.“ (Joh 15,13)
Sein Tod ist keine göttliche Strafe oder blutige Sühne, sondern die Konsequenz seines Weges der Liebe und Gerechtigkeit. Er hat sein Leben hingegeben – nicht um zu sterben, sondern weil er für Wahrheit und Mitmenschlichkeit eingestanden ist. Auch in seinem Sterben bleibt er dem Gott Israels treu: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ (Mk 15,34) – ein Gebet aus Psalm 22, kein Ausdruck des Verlassenseins von Gott, sondern ein letztes Aufbäumen im Vertrauen.
Auferweckung – Zeichen der Hoffnung
Für mich ist Jesus nicht aus eigener Kraft „auferstanden“, sondern von Gott auferweckt worden. Diese Unterscheidung ist mir wichtig. Immer wieder heißt es: „Gott hat ihn von den Toten auferweckt“ (Apg 2,24; Röm 10,9).
Das entspricht auch dem Glauben der Pharisäer seiner Zeit, die an die Auferstehung der Toten glaubten (Apg 23,8). Jesus ist also kein Einzelfall, sondern der erste unter vielen (1 Kor 15,20).
Die Auferweckung ist für mich kein physikalisches Ereignis, sondern eine Tatsache des Glaubens, eine Erfahrung, dass der Tod nicht das letzte Wort hat. Die Jünger erkennen ihn nicht an äußerlichen Zeichen, sondern daran, dass er weiter das tut, was er immer getan hat: die Schriften auslegen und das Brot brechen (Lk 24,30-32).
Christus – der von Gott Erhöhte
Nach dem Tod Jesu bekennen die Jünger: Er ist der Christus, der Messias. Nicht weil er sich selbst zu Gott gemacht hätte, sondern weil Gott ihn erhöht und als seinen Gesandten bestätigt hat.
Paulus, selbst Pharisäer, beschreibt das so:
„Darum hat ihn Gott erhöht und ihm den Namen verliehen, der über allen Namen steht, damit im Namen Jesu sich alle Knie beugen … zur Ehre Gottes, des Vaters.“ (Phil 2,9-11)
Auch hier gilt: Jesus wird erhöht, nicht vergöttlicht. Ich verstehe es wie einen König, der einen Menschen ehrt und an seine Seite setzt – damit ist dieser Mensch nicht selbst der König, sondern ein von ihm Beauftragter.
Nachfolge – Lernen und Handeln
Nachfolge bedeutet für mich: so zu leben, wie Jesus gelehrt und gehandelt hat. Es ist wie im jüdischen Lehrer-Schüler-Verhältnis: lernen, handeln und weitersagen. Die Jünger gingen mit ihm, hörten auf ihn, versuchten zu verstehen und lebten das Gehörte.
Jesus ruft uns nicht dazu auf, ihn zu vergöttlichen, sondern ihm nachzufolgen:
„Wer mir nachfolgen will, der verleugne sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich und folge mir.“ (Mk 8,34)
Nachfolge ist für mich ein Weg des Handelns in Liebe, Gerechtigkeit und Vertrauen auf Gott.
Das Abendmahl – Gemeinschaft im Geiste des Passah
Das Abendmahl sehe ich als ein Passamahl, das in den Evangelien im Kontext von Pessach gefeiert wird (Mt 26,17-29). Es ist ein Mahl der Befreiung, des Gedenkens an den Auszug aus der Knechtschaft.
Jesu Worte über Brot und Wein verstehe ich im jüdischen Symbolverständnis:
- Brot: das tägliche Leben, das miteinander geteilt wird.
- Wein: das Leben selbst, oft mit Blut gleichgesetzt als Lebenssymbol.
Wenn Jesus sagt: „Das ist mein Blut“, dann bedeutet das für mich:
„Das ist mein Leben, das ich für euch hingegeben habe – nicht im Sinn eines blutigen Opfers, sondern als Ausdruck meiner Liebe.“
Das Abendmahl ist damit für mich eine Einladung, in Gemeinschaft zu leben, sich an Gottes Befreiung zu erinnern und sich selbst als Teil dieser Gemeinschaft zu begreifen.
Fazit: Eine suchende, hörende Christologie
Meine Christologie bleibt eine suchende. Ich halte mich an das, was in den Evangelien und bei Paulus überliefert ist:
- Jesus als jüdischer Lehrer, Prophet und Messias,
- als von Gott gesandter und erhöhter Mensch,
- als der, in dem Gottes Nähe erfahrbar wurde.
Ich glaube an den Gott Israels, der in Jesus besonders erfahrbar wurde – aber ich glaube nicht, dass Jesus selbst dieser Gott ist.
Vielmehr ist Jesus für mich der Wegweiser, der in Wort und Tat Gottes Liebe sichtbar gemacht hat.
Wie es der jüdische Theologe Martin Buber über Mose sagte, so könnte man es auch auf Jesus beziehen:
„Nicht er selbst war das Ziel, sondern er wies auf das Ziel hin.“
Und wie Dietrich Bonhoeffer sagte:
„Jesus ruft in die Nachfolge – nicht in die Bewunderung.“
Fragen an die späteren Konzilien
Wenn ich die späteren christologischen Konzilien betrachte – vor allem Nicäa (325 n. Chr.) und Chalcedon (451 n. Chr.) –, stellen sich mir einige kritische Fragen.
Diese Konzilien formulierten Glaubenssätze, die Jesus Christus als wahren Gott und wahren Menschen beschreiben. In Nicäa wird Jesus als „wahrer Gott vom wahren Gott, gezeugt, nicht geschaffen, eines Wesens mit dem Vater“ bekannt. Chalcedon spricht von Jesus als „unvermischt, ungetrennt, unveränderlich, unteilbar“ wahrer Gott und wahrer Mensch in einer Person.
Wenn ich aber die synoptischen Evangelien lese, finde ich solche Formulierungen dort nicht.
Jesus selbst hat – soweit ich erkennen kann – nicht von sich gesagt, dass er Gott sei. Vielmehr hat er immer wieder darauf hingewiesen, dass er von Gott gesandt ist, dass er Gottes Willen tut, dass er zum Vater betet. Er hat gesagt: „Niemand ist gut außer dem einen Gott“ (Mk 10,18) und gelehrt, Gott allein zu vertrauen.
Auch bei Paulus finde ich keine klare Aussage, dass Jesus selbst Gott sei. Paulus spricht davon, dass Gott Jesus erhöht hat, dass Jesus zur Rechten Gottes sitzt, dass Jesus der Herr ist, durch den Menschen Zugang zu Gott finden. Aber Paulus macht keine Gleichsetzung zwischen Jesus und Gott, wie sie später dogmatisch formuliert wurde.
Deshalb habe ich mich gefragt:
- Woher kommen diese hohen christologischen Formeln?
- Sind sie wirklich aus dem jüdischen Kontext Jesu heraus entstanden?
- Oder haben sie sich in der Auseinandersetzung mit der griechisch-römischen Philosophie und Religionswelt entwickelt, die damals andere Vorstellungen von Göttlichkeit hatte?
Mir kommt es manchmal so vor, als hätten die frühen Konzilien mehr versucht, Jesus in den Denkkategorien der damaligen heidnischen Welt verständlich zu machen, als seine jüdischen Wurzeln ernst zu nehmen. Sie haben Begriffe wie „Wesen“, „Natur“ und „Person“ verwendet, die aus der griechischen Philosophie stammen, nicht aus der Tora.
Für mich bleibt deshalb eine Spannung zwischen dem, was Jesus als jüdischer Lehrer gelebt und gelehrt hat, und dem, was die Kirche später über ihn formuliert hat. Ich möchte diese Spannung nicht vorschnell auflösen, sondern offen lassen als eine theologische Frage, die ich weiterhin mit mir trage.
Exkurs: Wie deuten Theolog:innen heute die Konzilien von Nicäa und Chalcedon?
1. Historische Bedeutung der Konzilien
- Die Konzilien von Nicäa (325) und Chalcedon (451) entstanden in einer Zeit, in der die junge Kirche sich in einer Welt zwischen Judentum und griechisch-römischer Philosophie orientieren musste.
- Sie wollten Klarheit schaffen, wie die Kirche über Jesus Christus sprechen kann, um Missverständnisse oder extreme Positionen zu vermeiden.
- Zwei damalige Streitpunkte:
- → Ist Jesus nur Mensch und Prophet (wie Arius lehrte)?
- → Oder ist er so göttlich, dass seine Menschlichkeit nur „Schein“ ist (Docetismus)?
- Die Konzilien entschieden sich für eine Mittellinie: Jesus ist „wahrer Gott und wahrer Mensch“ – aber in einer einzigen Person vereint.
Historisch betrachtet waren die Konzilien:
- Ein Versuch, Einheit im Glauben zu schaffen.
- Auch politische Entscheidungen in einer Kirche, die im Römischen Reich zunehmend Einfluss gewann.
- Stark geprägt von griechisch-hellenistischer Philosophie, v. a. vom Denken in „Wesen“ (gr. ousia) und „Person“ (gr. prosopon, lat. persona).
2. Wie verstehen Theolog:innen heute diese Aussagen?
a) Traditionelle (klassisch-christologische) Sichtweise
- Viele Theolog:innen der katholischen, orthodoxen und evangelischen Tradition halten die Konzilien für bleibend wichtig:
- Sie sehen die Formeln als Schutz gegen Irrtümer, die entweder Jesus‘ Menschlichkeit oder Göttlichkeit verkennen.
- Die Konzilien helfen, den christlichen Glauben an die Nähe Gottes in Jesus sprachlich auszudrücken.
Beispiel: Karl Barth sprach von Jesus als „Gottes Selbstoffenbarung im Menschen Jesus von Nazareth“ – ohne die Trennung zwischen Gott und Mensch zu verwischen.
b) Kritische und kontextuelle Theologien
- Andere Theolog:innen kritisieren, dass die Konzilien Jesus in philosophische Begriffe gepresst haben, die seiner jüdischen Identität fremd sind.
- Sie fragen:
- War es nötig, Jesus mit solchen ontologischen Begriffen (Wesen, Natur) zu beschreiben?
- Hätte man nicht einfach im biblischen Sprachraum bleiben können: Jesus als Gesandter, als Messias, als Sohn Gottes im Sinne von Nähe und Sendung?
Beispiel: Friedrich-Wilhelm Marquardt oder Pinchas Lapide (Jude) kritisieren, dass Jesus so vom Judentum entfremdet wurde.
c) Vermittelte Sichtweisen
- Wieder andere sagen: Die Konzilien sind Zeugnisse ihrer Zeit, aber sie müssen neu ausgelegt werden.
- Heute könnte man statt von „Wesen“ lieber von Beziehung, Berufung und Sendung sprechen.
- Die Formeln bleiben theologische Deutungsversuche, aber sie sind nicht letzte Wahrheiten, sondern „versprachlichte Glaubenserfahrungen“.
Beispiel: Jürgen Moltmann sagt, die Konzilien haben den Glauben an Jesus als lebendige Gottesbeziehung festgehalten – aber wie man das formuliert, kann sich im Lauf der Geschichte ändern.
3. Zusammengefasst: drei Wege heutiger Deutung
| Sichtweise | Haltung zu den Konzilien | Kernaussage |
| Traditionell | Konzilien sind bleibend gültige Glaubenswahrheit | Jesus ist wahrer Gott und Mensch – diese Spannung muss stehen bleiben |
| Kritisch-kontextuell | Konzilien haben Jesus vom Judentum entfremdet | Jesus ist der jüdische Messias, nicht ein griechisch definierter Gott |
| Vermittelnd | Konzilien sind historische Sprachformen, keine absoluten Wahrheiten | Ihre Inhalte müssen neu gedacht und formuliert werden |
Meine persönliche Sicht auf die Konzilien
Ich sehe die Konzilien von Nicäa und Chalcedon als wichtige Zeugnisse ihrer Zeit. Sie waren der Versuch, den christlichen Glauben in einer hellenistisch geprägten Welt zu klären und Missverständnisse auszuräumen. Für die damaligen Herausforderungen waren sie sicher bedeutend.
Doch für meinen Glauben stellen sich andere Fragen:
Die Formulierungen der Konzilien verwenden Begriffe und Denkmuster aus der griechisch-römischen Philosophie – „Wesen“, „Natur“, „Person“ –, die dem jüdischen Kontext Jesu fremd sind. Für mich besteht die Gefahr, dass Jesus dadurch in Kategorien gepresst wurde, die seiner eigenen Verkündigung und Lebensweise nicht entsprechen. So wurde er dem damaligen kulturellen Umfeld „verständlich gemacht“, aber zugleich aus seinem ursprünglichen Kontext gelöst.
Ich halte es für wichtiger, im biblischen Sprachraum zu bleiben. Jesus selbst hat in Bildern und Worten gesprochen, die aus der Tora, den Propheten und den Psalmen stammen. Dort gibt es genug Ausdrucksformen, um sein Verhältnis zu Gott, seine Sendung und seine Bedeutung für die Menschen zu beschreiben. Diese Sprache war seine eigene – sie ist für mich näher an seinem Leben, seinem Glauben und seinem Auftrag.
Darum verstehe ich Jesus als den von Gott Gesandten und Erhöhten, als den Messias, der den Weg zum Vater im Himmel weist. Nicht als Gott selbst, sondern als den, der in seiner Nähe lebt und von ihr Zeugnis gibt.
Diese Sichtweise stellt die Konzilien nicht in Frage – sie anerkennt ihre historische Rolle –, aber sie sucht nach einer Sprache, die dem jüdischen Lehrer Jesus von Nazareth gerecht wird.
Nachwort: Eine suchende Christologie
Was ich hier formuliert habe, ist kein fertiges Gebäude, sondern eher ein Wegstück. Meine Christologie ist nicht abgeschlossen, sondern in Bewegung – wie der Glaube selbst, der, wie Abraham Joshua Heschel einmal sinngemäß sagte, „kein Verharren an einem heiligen Ort ist, sondern eine endlose Pilgerreise des Herzens“.
Auch Theologie ist für mich kein festgefügtes Dogmengebäude, sondern ein lebendiges Ringen um Wahrheit, getragen von den Quellen der Schrift, den Stimmen der Tradition, der Erfahrung der Gemeinde und der Fragen der Zeit. Sie hat ihre Wurzeln – aber wie ein Baum wächst sie weiter. Sie ist gegründet im biblischen Zeugnis – aber sie bleibt offen für den Wind des Geistes, der weht, wo er will (Joh 3,8).
So verstehe ich auch meine Christologie:
- gegründet in den Evangelien, vor allem den synoptischen Zeugnissen von Jesus dem Menschen,
- hörend auf Paulus und die frühen Gemeinden, die Jesu Bedeutung im Licht ihrer Erfahrungen gedeutet haben,
- kritisch fragend gegenüber späteren dogmatischen Formeln,
- und offen für die Stimmen des Judentums, in dessen Tradition Jesus stand und bis heute gehört werden will.
Meine Antworten sind vorläufig. Mein Fragen bleibt. Und mein Glaube ist in Bewegung – getragen von der Hoffnung, dass der Ewige mich auf diesem Weg begleitet.