„Indianer bleiben Indianer? Nein.“

„Indianer“ – für viele in Deutschland ein harmloser Begriff, ein nostalgischer Spaß aus Kinderzimmern, Fasnachtsumzügen oder Comedy-Filmen. Für uns ist es ein Sammelsurium aus Klischees, kolonialen Projektionen und Respektlosigkeit, das unsere Kulturen entwürdigt. Von der Popkultur über Karneval bis zu Karl-May-Romanen zieht sich eine lange Geschichte der Verfälschung. Es wird Zeit, genauer hinzuschauen – und endlich aufzuhören, unsere Identität als Partyaccessoire zu behandeln. „Unsere Kultur ist kein Kostüm“ – dieser Satz ist keine Überempfindlichkeit, sondern eine klare Absage an eine Praxis, die noch immer Menschen entwürdigt.

Teil 1: Der Bully-Herbig-Aufhänger – Humor, Spott und Respektlosigkeit

Es ist 2025, und noch immer verteidigen Deutsche mit Zähnen und Klauen ein Wort, das nicht ihnen gehört: Indianer. Bully Herbig kündigt seinen neuen Film „Das Kanu des Manitu“ an und setzt, fast wie nebenbei, den Stachel: „Oh, und wir sagen auch wieder Indianer im Film.“ Den hätte er sich auch sparen können – aber hey, was tut man nicht alles für ein bisschen Rampenlicht, und um ein paar Lacher von den „Anti-Woken“ zu bekommen.

Für viele klingt das harmlos, fast wie ein Scherz. Für uns ist es ein weiteres Beispiel für Ignoranz und Überheblichkeit. Es wurde unzählige Male in der Vergangenheit erklärt, warum diese koloniale Fremdbezeichnung verletzend ist. Über unsere Kultur gesprochen, über Maskottchen, über Verkleidungen, über Mord und Ausgrenzung. Und doch: die Reaktion ist immer dieselbe. Spott. Häme. Ein „stellt euch nicht so an“.

Es ist nicht Unwissenheit, es ist Weigerung. Eine Weigerung, zuzuhören. Eine Weigerung, Respekt zu zeigen. Und es ist bitter, wenn dieser Unwille ausgerechnet mit einem Lacher verkauft wird.

Die alten Muster – Kommentare als Beweisstück

Schaut man in die Kommentarspalten, ist die Ignoranz so laut, dass sie schon fast wie ein Markenzeichen wirkt:

  • „Indianer bleiben Indianer, waren schon immer Indianer.“
  • „Eine kleine unbedeutende Minderheit will uns diktieren, wie wir reden.“
  • „Möge die Randgruppe der Empörten doch aus unserem Land verschwinden.“
  • „Ich sag alle Wörter genauso wie früher, wer will mir das verbieten?“

Das ist nicht „liebevolle Nostalgie“. Das ist Verachtung. Es zeigt eine Haltung, die sich weigert, von Betroffenen zu lernen, und die stattdessen lieber das Recht verteidigt, andere kleinzumachen.

Ironisch daran: viele behaupten, sie würden sich doch nur verkleiden oder das Wort benutzen, weil sie „Indianer so lieben und verehren“. Aber was ist das für eine „Liebe“, die sich taub stellt, sobald die Geliebten selbst das Wort ablehnen? Was ist das für eine „Verehrung“, die nichts mit der Realität derer zu tun hat, die angeblich verehrt werden?

Historische Wunde

Das Wort Indianer ist keine neutrale Bezeichnung. Es ist ein Irrtum, der zum kolonialen Stempel wurde – und seit Jahrhunderten mit Klischees, Entmenschlichung und Gewalt verbunden ist.

Während weiße Kinder in Deutschland mit Tipis im Garten spielten, wurden Native Kindern in den USA in Internatsschulen die Haare geschoren, ihre Sprache verboten, ihre Religion bestraft. Während Europäer stolz Totempfähle im Hobbykeller schnitzten, war es unseren Vorfahren untersagt, ihre Tänze oder Zeremonien zu praktizieren.

Das Muster ist klar: Eure Spiele wurden erlaubt. Unsere Wirklichkeit wurde verboten. Eure Fantasie wurde gefeiert. Unsere Kultur wurde kriminalisiert.

Wenn heute jemand sagt: „Aber wir meinen das doch positiv, wir verehren die Indianer!“, dann ist das blanker Hohn. Denn es war nie um uns gegangen. Es ging immer nur um ein Bild, das man sich von uns gemacht hat – ein Bild, das man besitzen, ausstellen, nachspielen konnte. Ein Bild, in dem wir selbst keine Stimme hatten.

„Our culture is not your costume“

Besonders absurd wird es bei der Verteidigung der Verkleidung. Jedes Jahr im Februar dieselben Sätze: „Ich war so gern Indianer am Karneval.“ – „Das gehört doch dazu, das ist Tradition.“

Aber eine Verkleidung ist keine Tradition, es ist eine Verzerrung. Ein Kostüm ist etwas, das man für einen Abend anzieht, um eine Rolle zu spielen. Eine Identität ist etwas, das man lebt – jeden Tag, oft unter Gefahr.

In meinen Artikeln habe ich es so formuliert: Wenn eine ganze Kultur auf Federschmuck und Tipis reduziert wird, dann ist das keine Hommage, sondern Entmenschlichung. Wenn dein Kinderzimmer-Tipi wichtiger ist als unser Recht, unsere Kultur selbst zu leben, läuft etwas schief.

Viele verstehen nicht, dass dieses „Spiel“ direkt mit realer Unterdrückung verknüpft ist. Denn während weiße Kinder unbeschwert „Indianer“ spielten, wurden Native Kinder gezwungen, ihre Kultur zu vergessen. „Our culture is not your costume“ ist deshalb kein Slogan für Dünnhäutige. Es ist ein Hilferuf, geboren aus Geschichte.

Kommentarflut und Realitätsverweigerung – ein Paradebeispiel

Und dann liest man Kommentare wie diese – fast 1000 Stück von „echten biodeutschen“ Fans:

„Ich habe immer wieder mit echten ‚Indianern‘ zu tun – und ihnen ist es lieber Indianer als Natives genannt zu werden. Spaß sollte Spaß bleiben dürfen – ist eh so selten geworden…“
„Ich überlege schon, mich als Indianer zu verkleiden und so die Vorstellung anzuschauen.“
„Indianer. Ich finde es ist ein schönes Wort für Menschen, welche ihre Kultur und Werte leben und weitergeben… was bitte soll also am Wort ‚Indianer‘ falsch sein?“

Was hier passiert, ist klassische Realitätsverweigerung: Die eigene Nostalgie, der Wunsch nach Unterhaltung oder das vermeintlich schöne Wort „Indianer“ werden über unsere Realität gestellt. Dass Menschen Morde, Landraub, kulturelle Unterdrückung, MMIW2S und jahrhundertlange Stereotype erleben, wird schlichtweg ignoriert.

Die Kommentare sind voll von Selbstbezogenheit und Überheblichkeit:

  • „Spaß darf nicht leiden“ – egal, wen man verletzt.
  • „Wortklauberei geht mir auf den Keks“ – egal, wie sehr wir es als verletzend empfinden.
  • „Ich entscheide, wie ich sie nenne“ – egal, dass unsere eigene Selbstbezeichnung eine andere ist.

Kurz gesagt: Diese Kommentare zeigen perfekt, warum Aufklärung nötig ist. Sie demonstrieren die Kluft zwischen Fantasie und Wirklichkeit – und die Ignoranz, mit der einige glauben, ihre nostalgische Vorstellung von „Indianern“ sei wichtiger als unsere tatsächliche Existenz und unsere kulturellen Werte.

Wer solche Kommentare liest, versteht schnell: Wir sind keine Karikaturen, keine Kostüme und kein Nostalgieprojekt. Wir sind lebendig, wir sind real, und unsere Kulturen verdienen Respekt – nicht Unterhaltung.

„Aber die anderen machen es doch auch…“ – Klassiker der Realitätsverweigerung

Ah ja, die Standard-Ausreden: „Chinesen und Schwarze ziehen sich auf dem Oktoberfest ein Dirndl an“, „Schwarze färben sich die Haare blond – wo ist das Problem?“
Allesamt perfekt geeignet, die eigenen weißen Fantasien über Respekt, Geschichte und Machtverhältnisse zu stellen. Realität und Erfahrung der Betroffenen? Egal. Nostalgie, Spaß, Anti-Woke-Attitüde – alles zählt.

Herzlichen Glückwunsch: Mit diesem Argument zeigt ihr nicht nur eure Ignoranz, ihr habt gleichzeitig die Pointe selbst geliefert – es geht euch nie um Respekt, sondern nur um euch. Willkommen im Club der nostalgischen Selbstbedienungsläden bzw. im Club der weißen Fantasien, in dem Respekt optional ist.

Die Absurdität der Abwehrreaktionen

Besonders beliebt ist auch das Argument: „Echte Indianer lachen darüber.“ Manche erzählen stolz, sie hätten „auf dem Reservat den Schuh des Manitu gezeigt, und alle haben gelacht.“

Ja, sicher. Menschen lachen manchmal über Stereotype – aus Höflichkeit, aus Müdigkeit, aus Selbstschutz. Aber das entkräftet die koloniale Realität nicht.

Würden wir ernsthaft Antisemitismus damit verteidigen: „Mein jüdischer Freund hat auch gelacht“? Würden wir bei rassistischen Witzen über Schwarze sagen: „Aber einer hat mal mitgelacht, also ist das nicht schlimm“? Wohl kaum. Warum also hier?

Die Antwort ist einfach: weil das Bild vom „Indianer“ in Europa keine Realität ist, sondern ein Besitz. Man will nicht loslassen, weil man glaubt, es gehöre einem.

Persönlicher Bezug

Und dann gibt es noch die Dreistigkeit, aus Two-Spirit identities eine Pointe zu machen. Schlagzeilen wie „Schwule Apachen im Jahr 2025, geht das noch?“ zeigen nicht nur Ahnungslosigkeit, sondern pure Respektlosigkeit.

Für mich ist das kein Witz. Ein Freund von mir, Apache, Two-Spirit, schwul, wurde ermordet. Ermordet, weil er außerhalb der Norm lebte. Schwul und Apache – doppelter Hass, doppelte Gefahr.

Während in Deutschland über „lustige Indianer“ und „schwule Apachen“ gelacht wird, zahlen Menschen in Native Communities den Preis mit ihrem Leben. Diese Kluft ist so groß, dass man sie kaum ertragen kann.

Fazit

Es geht hier nicht um Sprachpolizei. Es geht nicht darum, jemandem die Kindheitserinnerungen zu nehmen. Es geht darum, Menschen ernst zu nehmen.

Das Wort „Indianer“ ist ein Relikt des Kolonialismus. Wer es 2025 noch trotzig verteidigt, verteidigt nicht „Tradition“, sondern das Recht, respektlos bleiben zu dürfen.

Worte sind keine Nebensache. Sie sind Spiegel von Machtverhältnissen. Und wer unbedingt an ihnen festhält, verrät mehr über sich selbst als über die, die er zu benennen glaubt.

Am Ende bleibt eine einfache Wahrheit: Wer „Indianer“ sagt, zeigt nicht Liebe oder Verehrung. Er zeigt, dass er nicht zuhören will.

Teil 2: Historische Wurzeln – Von Karl May bis zu deutschen „Indianerspielen“

Wenn ein Kind als „Indianerhäuptling“ in die Schule kommt, sieht die Mehrheit darin nur Spaß. Für uns aber sind diese Bilder Teil einer kolonialen Erzählung, die uns seit Jahrhunderten entmenschlicht. Ein Kostüm reduziert ganze Völker auf Federschmuck, Kriegsgeheul und „wilde“ Gesten – und blendet aus, dass wir komplexe Kulturen, Sprachen und Nationen sind. Ein Cowboy-Kostüm beleidigt niemanden, weil Cowboys keine unterdrückte Minderheit sind. „Indianer“ ist aber kein Fantasiewesen, sondern ein Sammelbegriff für reale indigene Völker, die Kolonialismus, Landraub und kulturelle Zerstörung überlebt haben.

Wenn Kinder oder Erwachsene sich zu Fasnacht oder Halloween „als Indianer verkleiden“, wirkt das oft wie eine unschuldige Spielerei. Aber das Bild, das dabei reproduziert wird, ist eine Karikatur: ein Sammelsurium aus Lederfetzen, Plastikfedern, Kriegsgeheul und pseudo-spirituellen Phrasen.

Was verschwiegen wird: Dass es hunderte verschiedene indigene Nationen mit eigener Kultur, Sprache, Religion und Geschichte gibt – keine einheitliche „Indianerkultur“. Ein Klischeebild, das sich in deutschen Köpfen festgesetzt hat, ersetzt echte Begegnung.

Karl May und die „Indianerspiele“

Dass dieses Bild so tief verwurzelt ist, hat viel mit deutscher Geschichte zu tun. Schon im 19. Jahrhundert spielten Kinder auf Wiesen und in Wäldern „Indianer und Cowboys“. Diese Spiele hatten ihren Ursprung in einem exotisierenden Blick nach Westen, genährt durch Reiseberichte, aber vor allem durch die Fantasie von Autoren wie Karl May.
Karl May, der nie selbst in Nordamerika war, schrieb Bestseller über Winnetou und Old Shatterhand. Er erfand ein „Indianer“-Bild, das noch heute wirkt: der edle, aber zum Untergang verurteilte Wilde, der dem weißen Helden weichen muss. Diese Projektion war nicht unschuldig. Sie romantisierte Kolonialismus und blendete das reale Leid indigener Völker aus.

In Deutschland hat das „Indianer“-Bild eine lange Tradition – und sie ist von Anfang an problematisch. Schon im 19. Jahrhundert spielten Kinder „Indianer und Cowboys“, immer mit klarer Rollenverteilung: die „Wilden“ gegen die „Zivilisierten“. In Völkerschauen wurden indigene Menschen wie exotische Tiere vorgeführt, um ein Bild der „edlen Wilden“ oder „blutrünstigen Barbaren“ zu verfestigen.
Und dann kam Karl May: ein Mann, der nie in Nordamerika war, aber ganze Generationen mit seinen Fantasien von Winnetou und Old Shatterhand prägte. Seine Romane vermischten Klischees, romantische Heldenbilder und rassistische Tropen – und bis heute stehen Karl-May-Festspiele für eine „Kultur“, die es so nie gegeben hat. Millionen Deutsche sind mit diesen Geschichten aufgewachsen und halten sie noch immer für „authentisch“. Aber sie sind nichts anderes als Folklore und Projektionen, die mit unserer Realität nichts zu tun haben.

„Aber Karl May hat mich doch interessiert…“ – Ein Mythos der Rechtfertigung

Ja, Karl May hat viele Leser*innen begeistert. Ja, manche sagen: „Durch Karl May habe ich mich überhaupt für Indianer interessiert.“ Oder: „Es geht doch um Freundschaft, Frieden und Ehre.“

Das mag stimmen – als persönliche Wirkung. Doch das entbindet nicht von der kritischen Betrachtung: Karl May hat keine realistischen Indigenen dargestellt, sondern stereotype Fantasien. Die „edlen Wilden“ existierten nicht in der Realität, und sie wurden genutzt, um Abenteuerfantasien deutscher Leser zu bedienen.

Freundschaft, Frieden und Ehre? Schön für die Romane – aber sie ersetzen nicht den Respekt vor lebendigen Kulturen. Wir Indigenen existieren nicht in Märchenform; unsere Werte, unsere Kämpfe und unsere Traditionen sind real. Wer sich also heute mit „Indianer-Federschmuck“ verkleidet und Karl May als Rechtfertigung anführt, verwechselt Fantasie mit Wirklichkeit – und ignoriert die Folgen kolonialer Stereotypisierung.

Wer heute Federschmuck aufsetzt und Karl May als Alibi vorschiebt, sagt im Grunde: „Mir egal, was ihr wirklich seid, Hauptsache, ich darf meinen Spaß haben.“ Genau diese Haltung ist es, die wir schon seit Jahrhunderten erleben: deutsche Überheblichkeit, die glaubt, dass Fantasie die Realität aufheben kann, dass Klischees Respekt ersetzen.

Fazit: Begeisterung für Karl May? In Ordnung. Aber sie rechtfertigt keine Aneignung. Sie ersetzt keinen Respekt. Und sie macht nicht eure Kostüme oder Witze harmlos. Wer das immer noch verwechselt, hat nichts gelernt – außer, dass die eigene Nostalgie wichtiger ist als unsere Realität.

Völkerschauen und Schaulust

Parallel dazu gab es die Völkerschauen: Menschen aus aller Welt – auch indigene Nordamerikaner – wurden in Europa wie exotische Tiere ausgestellt. Sie mussten vor zahlendem Publikum „authentisch“ tanzen, kämpfen oder Zelte aufstellen. Auch in Deutschland standen solche Schauen hoch im Kurs. Sie verstärkten den Eindruck, dass indigene Kulturen keine lebendigen Gesellschaften seien, sondern Attraktionen, Kulissen, Spektakel.

Vom Fasnachtskostüm zum Folklore-Event

Diese Muster setzen sich bis heute fort. Ob Fasnacht, Kindergeburtstag oder Festival – die „Indianerverkleidung“ lebt von denselben Stereotypen. Menschen schlüpfen in eine „Identität“, die sie weder kennen noch verstehen. Damit wird indigene Kultur nicht geehrt, sondern verkleinert, verzerrt und auf Kitsch reduziert.
Und die bittere Ironie: Während in Europa Kinder mit Federschmuck herumspielen, kämpfen indigene Menschen in Nordamerika um das Überleben ihrer Sprachen, um Landrechte, gegen Diskriminierung.

Das Problem der Verharmlosung

„Ist doch nur Spaß“ – dieses Argument hören wir ständig. Aber Spaß für die Mehrheit bedeutet Schmerz für die Minderheit. Wenn du mit Federhaube durch die Fasnacht läufst, spielst du mit Symbolen, die für uns heilig sind. Die Federhaube etwa ist kein Accessoire, sondern ein spirituelles Ehrenzeichen, das durch Mut, Führungsstärke oder Heilung verdient wird. Sie als Partyhut zu tragen, ist Entweihung.

Die Macht der Bilder

Medien und Werbung haben jahrzehntelang das Bild vom „Indianer“ verstärkt: die wilde Schönheit, der schweigsame Krieger, die Indianerfrau als Beilage. In Karnevalskatalogen, Kinderbüchern und Westernfilmen wiederholt sich dieselbe Leier. Solche Bilder prägen ganze Generationen – und sie setzen sich in Köpfen fest. Wer so aufwächst, begegnet echten indigenen Menschen später mit diesen Vorurteilen im Hinterkopf.

Von Aneignung zu Auslöschung

Kulturelle Aneignung bedeutet nicht nur, dass sich jemand etwas Fremdes nimmt. Sie bedeutet auch: Das Original wird unsichtbar gemacht. Wenn Deutsche „Indianer“ spielen, sehen sie nicht uns – sie sehen nur ihre Fantasieversion von uns. Unsere Stimmen, unsere Geschichten, unsere Gegenwart verschwinden hinter der Karikatur. Das ist eine Form von Auslöschung, die sich bis heute fortsetzt.

Lebendige Kulturen – keine Relikte

Hier wird es besonders wichtig: Wir sind keine Figuren aus Karl-May-Romanen, keine Relikte der Vergangenheit, keine Märchenwesen für Kinderfasnacht. Wir sind lebendige Kulturen mit Sprachen, mit zeitgenössischer Kunst, mit moderner Politik. Wir sind Wissenschaftlerinnen, Musiker, Aktivisten, Schriftstellerinnen, IT-Fachleute, Heilerinnen.
Ja, wir kämpfen – gegen Armut, gegen Landraub, gegen die Gewalt an unseren Frauen, Mädchen und 2-Spirit-Personen (MMIW2S). Aber wir sind auch stark, innovativ und präsent. Wir definieren uns nicht durch deutsche oder westliche Stereotype, sondern durch unsere eigenen Stimmen.

Am Ende muss es klar gesagt werden: Unsere Kulturen sind kein Relikt, keine verstaubte Kulisse, die Deutsche nach Belieben aus der Mottenkiste holen dürfen. Wir sind nicht „die Indianer“ aus Karl-May-Romanen, nicht die romantische Fantasie vom „edlen Wilden“, nicht das putzige Fasnachtskostüm für Kinderfotos.

Wir sind hier. Wir leben. Wir kämpfen – gegen Rassismus, gegen Gewalt, gegen das Verschwinden unserer Frauen, Mädchen und Two-Spirits (MMIW2S). Wir trauern um sie und fordern Gerechtigkeit. Gleichzeitig sind wir stark, innovativ, kreativ. Wir programmieren, wir schreiben, wir tanzen, wir führen Unternehmen, wir machen Kunst. Wir sind Teil der Gegenwart, nicht Figuren aus der Vergangenheit.

Wer uns auf Federschmuck und Kriegsgeheul reduziert, blendet diese Realität aus. Und das ist nicht nur peinlich, es ist respektlos und unmenschlich.
Unsere Kulturen sind lebendig. Sie sind kein Selbstbedienungsladen für fremde Nostalgie, sondern Ausdruck von Identität, Stolz und Überleben.
Und genau deshalb gilt: Wir brauchen keine „Indianerkostüme“. Was wir brauchen, ist Respekt.

Wenn du also das nächste Mal im Fasnachtsladen ein „Indianerkostüm“ siehst: Lass es hängen. Frag dich, warum du dich ausgerechnet als ein unterdrücktes Volk verkleiden willst. Du würdest ja auch nicht auf die Idee kommen, dich als „Afrikaner-Sklave“ oder „KZ-Häftling“ zu verkleiden. Warum also „Indianer“?
Unsere Kulturen sind kein Selbstbedienungsladen. Sie sind nicht dazu da, dass man sie als Partyspaß konsumiert. Wenn du uns respektieren willst, dann höre uns zu, lies unsere Autor*innen, unterstütze unsere Kämpfe. Aber bitte: zieh uns nicht als Karnevalskostüm an.

Wir sind keine Karikatur.
Wir sind Menschen.
Wir sind hier.
Wir sind viele.
Wir sind lebendig.

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