Wenn jüdischen Opfern sexualisierter Gewalt nicht geglaubt wird

Manche Texte schreibt man nicht, weil man bereit ist, sondern weil Schweigen nicht mehr möglich ist.
Dieser Text ist entstanden aus Wut, aus Erschütterung – und aus dem Wissen, wovon ich spreche. Dieser Text handelt von sexualisierter Gewalt, von Antisemitismus – und vom Nicht-Glauben.
Er ist persönlich, aber nicht intim.
Ich schreibe ihn nicht, um zu überzeugen, sondern um Zeugnis abzulegen.
Die Kommentare sind schwer auszuhalten. Das Schweigen wäre es auch.

Ich merke es zuerst im Körper.
Ein Druck auf der Brust, als läge ein Gewicht auf mir. Müdigkeit. Schwere.
Ich lese – und mein Kopf will nicht weiter. Nicht, weil mir das Leid egal wäre. Sondern weil etwas in mir sich schützt.

Es geht um einen Artikel über Romi Gonen, eine junge israelische Frau, die nach fast 500 Tagen aus der Geiselhaft der Hamas zurückgekehrt ist und erstmals öffentlich über sexualisierte Gewalt spricht.
Und es geht um die Kommentare darunter.

Ich zitiere hier einige davon exemplarisch. Nicht, um ihnen Raum zu geben – sondern um zu zeigen, was jüdischen Opfern sexualisierter Gewalt abgesprochen wird:

„Schon bevor ein Jude die Schnauze öffnet, ist klar, dass eine Lüge rauskommt.“

„Bei der Krummnase bleibt der Pimmel auch krumm …“

„Die soll nicht jammern. Immer noch besser als abgeschlachtet zu werden.“

„Und wo sind die Beweise?“

„Alles Lügen. Propaganda.“

Das ist kein Ausrutscher.
Das ist ein Muster.

Der erste Kommentar sagt offen, was sonst oft nur implizit mitschwingt: Juden lügen. Immer. Egal, worum es geht.
Das ist kein neues Motiv. Es ist alt. Älter als Luther, der eine Schrift „Von den Juden und ihren Lügen“ nannte. Älter als moderne Politik. Es ist ein antisemitischer Grundton, der bis heute zuverlässig abrufbar ist.

Der zweite Kommentar vermischt antisemitische Bildsprache mit sexualisierter Sprache – und verfehlt damit vollständig, worum es bei sexualisierter Gewalt geht.
Vergewaltigung ist kein Sex.
Sie hat nichts mit Lust zu tun.
Sie ist Gewalt, Demütigung, Besitz, Kontrolle, Zerstörung.

Wer darüber in dieser Weise spricht, macht sich nicht nur antisemitisch, sondern verhöhnt die Realität von Gewalt.

„Die soll nicht jammern. Immer noch besser als abgeschlachtet zu werden.“
Dieser Satz ist kaum auszuhalten.
Hier wird Leid gegeneinander ausgespielt, als gäbe es eine Hierarchie des Erträglichen. Als könne man Gewalt relativieren, aufrechnen, gegeneinander ausspielen. Das kann nur schreiben, wer keine Vorstellung davon hat, was sexualisierte Gewalt mit einem Menschen macht – körperlich, seelisch, lebenslang.

Und dann immer wieder:
„Wo sind die Beweise?“

Von welchem Vergewaltigungsopfer wird das verlangt?
Wer erwartet, dass jemand unmittelbar nach schwerster Gewalt detailliert, widerspruchsfrei, öffentlich berichtet – am besten begleitet von „neutralen“ medizinischen Gutachten, weil den behandelnden Ärzt:innen nicht zu trauen sei?

Diese Forderung wird auffallend oft dann erhoben, wenn die Betroffene jüdisch ist.

Ich schreibe das auch als jemand, der selbst mehrfach sexualisierte Gewalt erlebt hat. Und auch Gewalt, die sich explizit gegen mich als Jüdin richtete – begleitet von Beschimpfungen wie „Zionistin“.
Ich gehe hier nicht ins Detail. Das ist nicht der Ort dafür.
Aber es bedeutet: Ich weiß, wovon ich spreche. Und ich weiß, was Worte anrichten können. Besonders dann, wenn einem nicht geglaubt wird.

Viele Opfer sexualisierter Gewalt schweigen aus genau diesem Grund.
Aus Angst vor Spott. Vor Relativierung. Vor der Frage, warum man nicht früher gesprochen hat. Warum man nicht lauter war. Warum man überlebt hat.

Wenn jüdische Frauen (und Männer) sprechen, kommt etwas hinzu: die alte Unterstellung, dass unsere Zeugenschaft grundsätzlich verdächtig ist. Dass wir lügen, übertreiben, instrumentalisieren. Außer – und das ist der bittere Punkt – wir sagen genau das, was gehört werden will.

Das ist nicht nur verletzend.
Es ist zerstörerisch.

Hier wird nicht nur die Würde einzelner Menschen mit Füßen getreten. Hier wird das Konzept von Wahrheit selbst ausgehöhlt. Wahrheit gilt nur noch, wenn sie zur „richtigen“ Ideologie passt. Zeugenschaft zählt nicht mehr. Der Mensch im Bild Gottes wird zur Witzfigur.

Das ist zutiefst nihilistisch.

Ich schreibe diesen Text nicht, weil ich glaube, dass sich alle Leser:innen dadurch ändern werden.
Ich schreibe ihn, weil Schweigen mich zerfrisst.

Und weil es gesagt werden muss:
Wer jüdischen Opfern sexualisierter Gewalt nicht glaubt, glaubt uns auch sonst nicht.
Nicht, wenn wir von Angst sprechen.
Nicht, wenn wir von Gewalt sprechen.
Nicht, wenn wir von Leben sprechen.

Ich schreibe das, um nicht zu verstummen.

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