Es ist Montag, der ESC ist vorbei, und was bleibt? Was bleibt zu sagen? The good, the bad, and the ugly?
Es war bunt, es war laut – viele Menschen, Musik, wunderbares Wetter, und wären die Randalemacher nicht gewesen, hätte alles wunderbar laufen können.
Yuval hat den offiziellen ersten Platz nicht belegt – und dennoch ist sie die Gewinnerin. Sie ist die Siegerin der Herzen: sie hat den 7. Oktober überlebt, und wie ein Phoenix ist sie aufgestiegen – voller Stärke, Resilienz, Schönheit, Zerbrechlichkeit, Freude und Liebe. Sie hat gestrahlt, und Hoffnung gebracht – über die Worte ihres Liedes hinaus. Auch wenn es noch einige andere Länder gab, deren Performance mir gefiel (Albanien zum Beispiel), war Yuval einfach mein Favorit – das Lied und die ganze Performance, zusammen mit ihrer Geschichte und ihrer Freundlichkeit, ganz einfach als Mensch.

Ich hätte sie auch liebend gerne bei der Eröffnungszeremonie gesehen, ihr zugewunken, zugelächelt, sie ermutigt – doch die «pro-palästinensischen» Schreihälse haben sich überall vorgedrängt, Weg und Sicht versperrt, gepfiffen, gebuht, niedergebrüllt, Schilder, Fahnen und Transparente geschwenkt bis hin zur Halsabschneidergeste. Ich befand mich mitten unter ihnen, so weit vorne wie möglich – doch kein Weg führte bis nach vorne. Hinter mir Palästinafahnen, neben mir, vor mir Kufiyahs, Männer, die die Fäuste schwangen und den Mittelfinger in Richtung Yuval zeigten, während sie schrien. Die Sängerin, die nach Yuval den türkisen Teppich betrat, tat mir leid: die Schreihälse buhten und schrien einfach weiter wie vorher – sie war sicher nicht auf so einen «Empfang» vorbereitet gewesen, doch tat ihr bestes, um dennoch zu winken und zu lächeln.









Als Yuval abgefahren war, verliessen auch die Demonstranten den Rathausplatz (so sehr lag ihnen am ESC -ähm nur daran, eine 24-jährige Massakerüberlebende zu drangsalieren), um zu versuchen, ihr Tram zu blockieren; letztlich postierten sie sich am Eurovision Village. Dass sie damit die Stimmung und alles für andere Zuschauer und Fans störten bzw. ruinierten, die z.T. von weit hergekommen waren, um die Vertreter ihrer Länder zu sehen – das war und ist diesen Narzissten egal. Hauptsache, sie konnten stören, Aufsehen erregen, und ihren Willen zumindest teilweise durchsetzen. Geholfen haben sie dadurch niemand – ausser sich selbst: sie konnten sich selbst auf die Schulter klopfen «hey, gut gemacht!». Das Beste daran waren die Basler, die schliesslich die Faxen dicke hatten und die «Free free Palestine» mit «FCB! FCB!» übertönten – Gold wert!
Das Schöne: zufällig bekannte Gesichter sehen, oder auch fremde Menschen, die einem einfach nur gut gelaunt zulächeln, den ganzen Glitzer bestaunen im Eurovision Village und mal einen Moment nichts tun.
Auch ein schöner, guter, und wichtiger Moment: Samstag Nachmittag mit der Kurdish-Jewish Alliance auf dem Münsterplatz, gemeinsam ein Zeichen setzen gegen Antisemitismus, und gemeinsam da sein, mit Leuten sprechen, präsent sein -hey, wir haben keine Angst, wir sind sichtbar!- zusammen tanzen… Mit Israel haben wir unsere Heimat; Kurden und Eziden haben schon so viel erlitten, und kämpfen noch immer, und haben ein Recht auf ihr Heimatland, Kurdistan – frei von Bombardierungen durch die Türkei, frei von Islamisten, in Selbstbestimmung in Syrien/Rojava.
Und danach einfach mal Fun mit Freunden: ein Bier trinken, Popcorn essen, lachen, quatschen. Das Leben darf auch mal leicht sein. Wenigstens ein paar Stunden lang *lach*









Und dann war ich doch zu lang am Barfüsserplatz – und auf einmal war es 19 Uhr, und sie war da, die unbewilligte «pro-Palästina» Demonstration. Wobei Anti-Israel-Demonstration wohl eine passendere Bezeichnung ist, denn ich finde nichts sonderlich pro-palästinensisches an diesen Protestmärschen. Es macht einen grossen Unterschied, ob man anti-etwas ist, oder sich für jemanden einsetzt – und soweit ich es sehe, sind sie vor allem eins: anti-Israel, anti-Israelis, anti-Juden.
Als die Menschen in Gaza gegen die Hamas demonstrierten (und noch immer tun), und auch Al-Jazeera anklagten, und dafür viel riskierten, einen hohen Preis zahlten und zahlen – wo waren da die Krawallmacher? Erstaunlich stumm. Und bloss nicht darauf ansprechen, sonst werden sie wütend, da sie -die sie nicht darunter leiden, keine Konsequenzen spüren und weder Attentat noch wirkliche Intifada zu fürchten brauchen- doch lieber ihren feuchten Widerstands- und Gewaltträumen anhängen (solange die Gewalt gegen die «richtigen», d.h. gegen Israelis und Juden, gerichtet ist).
Nun, jedenfalls waren sie da, unbewilligterweise, am grössten Public Viewing der Innenstadt am Eurovision Square, um noch mal allen so richtig auf die… Nerven zu gehen. Demonstranten aus der Schweiz, aus Frankreich (BDS France), und wahrscheinlich auch aus Deutschland. Altbekannte Gesichter, die man -ansonsten wahrscheinlich hobbyfrei- an jedem Anti-Israel Event sieht (immer mit dem gleichen Schild, obwohl es sind inzwischen mehr Stickers drauf. Ob so viel Hass wohl schmerzt?) waren auch dabei. Die üblichen Statements, Flaggen, Schilder, Parolen – und mehr: eine Frau aus Frankreich mit Kunstblutverschmiertem Gesicht und einem weissen Bündel aus Laken aka Babykörper in der Hand, den sie theatralisch in die Höhe hielt.
Ich stand am Rand, ohne Flagge – nur einen silbernen Davidsstern um den Hals. Eine Freundin hat kein erkennbares Zeichen. Aber scheinbar reichte das schon, um von den Protestierenden angegangen zu werden und «Schlampe» genannt zu werden. Es überrascht mich allerdings nicht, denn das Wort «sharmota» hatte ich bereits vorher auch schon gehört, z.B. bei der Eröffnungszeremonie in Richtung Yuval.
Zwei Männer hielten eine Israel-Flagge. Sie zogen sofort die ganze Wut der Meute auf sich: Geschrei von «Shame on you» bis «Netanyahu irgendwas» war alles dabei, eine aggressive, aufgeheizte Stimmung, dazwischen das Dialogteam und zig Kameras und Journalisten. Eine junge Frau versuchte, die Fahne zu entreissen – ich drehte mich um, im Versuch, dem Mann zu helfen und die Fahne ebenfalls zurückzuhalten und nicht gleichzeitig über Kabel, Journalisten und Dialogteam-Mitarbeiter zu fallen.
Später zogen die Protestierenden -trotz Verbot- weiter, blockierten den öffentlichen Verkehr, zündeten Petarden und Pyros, verbrannten israelische und amerikanische Fahnen. Sie wurden schliesslich von der Polizei blockiert, versuchten die Blockade zu stürmen, sodass die Polizei sie einkesselte und letztendlich Tränengas und Gummipellets einsetzte, und mit dem Wasserwerfer drohte. Drei Polizisten wurden verletzt und mussten ins Spital. ESCalate4Palestine schreiben, sie wären Tausende gewesen – aber die Zahl liegt eher bei 800. Selbstüberschätzung ist auch eine Schätzung…






Ein paar «FCB! FCB!» Rufe hatte ich Samstagabend übrigens auch am Barfüsserplatz gehört…
Es gab auch noch einen ganz besonderen Moment während der Show (abgesehen von Yuvals Performance). Dieser war allerdings ein Moment der anderen Art: ein Moment währenddessen ich mich einen Augenblick lang fremdschämte.
Ich rede von Nemos Auftritt.

Nemo, Du bist nicht Freddy Mercury – das ist das Erste, was mir beim Schauen einfiel. Die stimmliche Performance des neuen Songs fand ich recht beeindruckend – das gebe ich zu. Ja, ich verstehe, künstlerische Ausdruckskraft, Emotionen, das Leben etc… Freddy Mercury hätte ich das Kostüm, die Theatralik, die Perücke und das Herunterreissen derselben, das Makeup und den Rotz abgenommen – aber hier war mir das Zuschauen einfach nur peinlich. Das liegt wahrscheinlich nicht daran, dass Du es nicht drauf hast, Nemo, sondern an etwas anderem. Das heisst, nicht dass es nichts Schweres, keine Verzweiflung geben kann. Aber ich habe Mühe damit.
Nemo möchte mehr Rechte für queere Menschen, und versteht nicht, warum das Narrativ über queere Menschen von Unverständnis geprägt ist. Laut einem Interview im Mannschaft Magazin gibt Nemo an, «Hoffnung zu haben trotz der schwierigen Zeit, und dass der einzige vernünftige Weg sei, einander zu verstehen zu beginnen». Das sagt ausgerechnet die Person, die gerade vorher noch den Ausschluss von Yuval Raphael vom ESC gefordert hat, und deren Verhalten gegenüber Eden Golan, sagen wir mal, geradezu bescheiden war – und diese Person, wie eine verantwortungsvolle, mutige Person (nicht!) zu ihrem Verhalten gestanden hat, man erinnere sich. Insofern brauche ich von Nemo keine Lektionen in Toleranz – sind es doch gerade Menschen wie Nemo, die Queers for Palestine & Co. die mir die queere Community (in der ich vorher engagiert war) so vermiesst haben. Und so, ohne mich über Nemo lustig machen zu wollen, kam mir die Performance mehr wie ein sich am Boden rollendes Kind vor als die einer anerkannten Künstlerperson.

Und nach dem ESC?
Die Judenhasser sind so hässig and hässlich wie vorher.
Aber wir sind noch enger zusammengerückt, stärker und voller Liebe als vorher.