Brisket im Ofen – oder: Die stillen Codes des Hasses

(oder: Wenn 16’000 Menschen über antisemitische Bildsprache lachen)

Ich wollte mich eigentlich mit Theologie beschäftigen.
Ich wollte Texte lesen. Denken. Schreiben über Gott, über Hoffnung, über Gerechtigkeit, über jüdische Wurzeln und Liebe.

Und dann das.
Ein Bild in einer harmlosen Facebook-Gruppe für Fleischrezepte.
Ein aufgeschnittener Brisket, angerichtet auf einem Holzbrett, mit der Bildunterschrift:
„Putting this brisket back in the oven.“

Das Posting hatte über 16’000 lachende Reaktionen. Über 3’500 Kommentare, über 1’000-mal geteilt. Und ich?
Mir blieb die Spucke weg.

Was ist da eigentlich zu sehen?

Zuerst sieht es nach einem klassischen Food-Foto aus. Fleisch. Saftig, rosa, dunkel gegart.
Aber beim zweiten Hinsehen – oder wenn man ein bestimmtes Sehen gelernt hat – erkennt man, was es wirklich zeigt:

Es ist ein Gesicht.
Ein Menschenprofil, gelegt aus Fleischfasern und Brisketscheiben. Die Struktur ist zu präzise für Zufall.
Stirn, Wange, Kinn – und vor allem diese eine Linie:
Die auffallend lange, gebogene Nase.

Eine sogenannte „Hakennase“ – geformt aus Fleisch –, die sofort Erinnerungen wachruft:
an Karikaturen aus dem „Stürmer“, an entmenschlichte Darstellungen jüdischer Gesichter im nationalsozialistischen Propagandaapparat.
Es ist nicht nur eine Nase. Es ist ein Bildcode.

Und dann der Text darüber:
„Putting this brisket back in the oven“ – ich will diesen Satz eigentlich nicht übersetzen.
Aber man muss ihn lesen mit allem, was mitschwingt. In Verbindung mit der Darstellung wird daraus eine brutale, zynische Anspielung auf die Shoah.
Der „Witz“ besteht darin, jüdische Menschen auf Fleisch zu reduzieren – und sie in den Ofen zu schicken.
Er wird verstanden. Und beklatscht.

Die perfide Wirkung: Jubel über das, was nicht ausgesprochen wird

16’000 lachende Emojis.
Kommentare, die sich überschlagen mit „Kreativität“, „genialem Humor“, „köstlichem Anblick“.
Einige wenige, die stutzen. Die vielleicht einen Verdacht haben. Aber sie gehen unter.

Was hier passiert, ist so alt wie antisemitische Propaganda selbst:
Die Verschiebung der Codes in den Bereich des Sagbaren.
Nichts ist explizit. Aber alles ist gemeint. Und verstanden.
Diese Codes funktionieren, weil sie tief verankert sind. Weil sie gelernt wurden. Weil sie sich einschreiben in Bilder, Ästhetik, Humor – und dann unauffällig weitergetragen werden.
Das ist struktureller Antisemitismus.
Er braucht keinen Hassschrei. Er braucht keine Parole. Er braucht nur ein Bild, das still alles sagt.

Die Trägheit der Plattform

Der Beitrag wurde gemeldet. Mehrfach. Oft.
Und es dauerte eine Woche, bis er verschwand. Eine Woche.
In dieser Zeit wurde er weiter geteilt, gefeiert, verteidigt.

Facebook – oder genauer: Meta – hat Algorithmen, hat Richtlinien gegen Hassrede, hat automatische Bilderkennung.
Aber antisemitische Bildsprache scheint durch die Raster zu fallen.
Oder will man sie gar nicht erkennen?

Die Trägheit ist nicht neutral.
Sie ist Teil des Problems.
Denn was stehen bleibt, wird normal. Was niemand löscht, wird erlaubt. Und was erlaubt ist, wird wiederholt.

Was hier sichtbar wird: Der strukturelle Antisemitismus der Gegenwart

Das Bild ist nicht „ein Einzelfall“.
Es ist ein Symptom. Ein Beleg. Ein Spiegel.

Struktureller Antisemitismus zeigt sich nicht nur in Angriffen, Parolen oder beleidigenden Kommentaren.
Er zeigt sich in Ästhetik. In Sprache. In Witzen.
In den Dingen, die man nicht erklären muss, weil alle sie verstehen.

Die Tatsache, dass dieses Bild als Witz funktioniert, beweist, dass die antisemitische Bildsprache nicht nur noch da ist – sondern verstanden wird.
Dass Menschen sie erkennen – und darüber lachen.
Dass es keine gesellschaftliche Hemmung mehr gibt, sich zu beteiligen.
Weil man ja „nur Fleisch“ sieht.

Und ich?

Ich wollte eigentlich über Hoffnung schreiben.
Über Bibelverse, die Leben aufbrechen lassen. Über Licht. Über das Vertrauen, dass wir mehr sind als das, was uns entstellt.
Aber dann kommt so ein Bild. Und stellt sich dazwischen. Und zwingt zum Schreiben.

Vielleicht ist auch das ein Teil von Theologie.
Nicht schweigen, wenn Entmenschlichung im Raum steht.
Nicht wegsehen, wenn alte Geister neue Kleider tragen.
Nicht aufgeben, wo Lachen zum Verstummen zwingt.

„Brisket im Ofen.“
Es ist ein Satz, der alles sagt – und keiner will’s gewesen sein.

Ich glaube nicht an die Kraft der Empörung. Aber ich glaube an die Kraft der Klarheit.
Und manchmal reicht es, hinzusehen und zu sagen:
Nein. Das ist nicht harmlos. Das ist Hass.

GEDULDIG

mein opa
war fünfzehn
vielleicht sechzehn
als er loslief

nicht aus abenteuer
sondern aus angst

sie sagten nichts
sie zählten nur
und es waren zu viele
mit nasen wie seiner

er folgte den schienen
mit einem, der auch wegmusste
nachts
durch den wald
so leise wie zwei lebendige
die noch nicht tot waren

sie erwischten ihn
nicht gleich
aber früh genug

sie haben ihn nicht tätowiert
nur geschoben
geschichtet
bett über bett
holz über haut
das ungeziefer fraß sich in seine beine
ließ narben
die er mir später zeigte
als wär’s ein lehrbuch

keine nummer
kein name
nur beine, die schwiegen
und weitergingen

meine urgrossmutter kam aus wiesbaden
sie wohnten in groß-gerau
eine stadt, die man
nicht mehr genau benennt
wenn alles ausgelöscht wurde
wenn es hiess «judenrein»

ein ururgroßvater
lehrte rechnen
und den ewigen

torah und tafel
in einer sprache,
die niemand mehr fragt
wie sie klang

die anderen
hießen Geduldig

aus der slowakei
nicht geduldig, weil sie warten wollten
sondern weil man ihnen den namen
nicht nahm

der andere familienzweig
war aus dem süden
wo keine schneewehen sind
sondern sand
mizrahim
keine asche
sondern staub

nicht vom rand der welt
sondern vom anfang

ich bin das alles
zugleich

eisenbahnkind
waldflüchtling
lehrerkind
synagogenschülerin
aschenrest
staubspur
aschkene
mizrahi
geduldig

und ich
seh das bild
vom brisket im ofen
und weiß:
es ist kein rezept
es ist ein code

und sie lachen
und sie liken
und sie teilen
und sie sagen:
„es ist doch nur fleisch“

aber ich
kenne den geruch
von haut, die gemeint ist
von nasen, die gemeint sind
von wörtern, die nicht fallen müssen
weil sie jeder schon gehört hat

ich bin
nicht nur
die, die hinsieht

ich bin
die,
die gemeint ist

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