Zwischen Schwarz und Regenbogen – Bern Pride 2025

Heute war ich sichtbar.

Ich habe mich geschminkt.
Nicht, um irgendwem zu gefallen.
Sondern weil es mir Freude macht. Weil es mir gut tut.
Ich trage nicht jeden Tag Lippenstift.
Aber heute habe ich mich getraut, in Farbe zu sprechen.

Schwarz das Oberteil, schwarz das Korsett, schwarz der Rock –
und darunter: Regenbogen.
Ein leuchtender Unterrock, der an der Seite hervorblitzte.
So wie ich selbst: jahrelang verborgen, jetzt offen.
Zwischen Schatten und Farbe.
Zwischen Schmerz und Stolz.

Ich lief mit Keshet Schweiz.
Eine kleine Gruppe queerer jüdischer Menschen,
verbunden durch unsere Geschichten, unsere Wunden, unsere Hoffnung.
Wir trugen unser Banner – nicht gegen irgendwen,
sondern für uns.

Hinter uns: Al-Rahman, die queere muslimische Gruppe.
Dann Zwischenraum, die christliche.
Drei abrahamitische Gruppen, Rücken an Rücken.
Ein anderes Bild von Religion, ein anderes Bild von Gemeinschaft.
Eins, das trägt.

Das Wetter war wechselhaft –
ein bisschen Sonne, viel Regen, sogar Hagel am Ende.
Aber irgendwie passte das:
nicht alles war strahlend. Und doch – es war gut.

Was schwer war:
Queers for Palestine hielten sich nicht an die Regeln.
Keine Flaggen, keine politischen Statements – das war die Vereinbarung.
Damit sich niemand unwohl fühlen muss.
Damit es bei der Pride um queere Menschen geht –
und nicht um Länder, Regierungen, Kriege.

Aber sie brachten ihre Plakate. Ihre Parolen.
„Free Palestine“, „Gegen Genozid“, „Gegen Apartheid“. Pinkwashing.
Sie liefen nicht hinter uns, wie vorgesehen, sondern überholten irgendwann.
Laut. Unbeirrt.
Einige von uns fühlten sich bedroht. Einige gingen.
Wir meldeten es der Security. Es passierte: nichts.

Und ja – es war eine Frustration.
Aber ich habe beschlossen: das wird nicht meine Erinnerung sein.

Denn ich erinnere mich an etwas anderes.

Ich erinnere mich an die Stimme einer befreundeten Person, non-binary, seit Jahren an meiner Seite, die mich ansah und sagte:
„Ich glaube, ich habe dich noch nie so glücklich gesehen wie heute.“
Und ich spürte: Ja. Ich bin da. Ganz. Sichtbar.
Nicht verkleidet. Nicht angepasst. Sondern ich.

Ich erinnere mich an den Mann aus dem Iran, der zu uns kam.
„Ich bin schwul. Geflüchtet. Ich liebe Israel“, sagte er.
Und wir redeten.

Ich erinnere mich an den Mann aus Afghanistan.
„Seid ihr Israelis?“ fragte er.
Und ich sagte einfach: „Ja.“
Nicht, weil alle in unserer Gruppe Israelis waren.
Sondern weil es in dem Moment stimmte.
Weil er mich ansah und etwas in mir erkannte.
Eine Flagge mit Davidstern, darum bat er.
Er sagte „Nice to meet you“ – und nahm mich in den Arm.
Ganz still. Ganz selbstverständlich.

Das war mehr als ein Handschlag. Es war ein heiliger Moment.
Ein Stück Welt, wie sie sein könnte.

An einem Stand sah ich später eine Karte:
„You can’t pray the gay away.“
Ich habe sie nicht gekauft. Ich habe genug Karten.
Und doch ging der Satz mit mir mit.
Wie viele Konversionstherapien habe ich hinter mir? Drei?

Drei Versuche, mich aus mir herauszubeten.
Drei Versuche, mich zu beugen, zu bekehren, zu verformen.
Fromm verpackte Gewalt.
Und ich habe es versucht. Wirklich versucht.
Habe gebetet. Gehofft. Gelitten.
Geliebt, was ich nicht liebe. Getan, was ich nicht bin.

Aber es geht nicht.
You can’t pray the gay away.
Ich bin, wie ich bin.
Und ich liebe, wen ich liebe.
Ich bin eine frauenliebende Frau.

Und wenn Gott mich so gemacht hat –
dann hat Gott sich wohl etwas dabei gedacht.
Oder einfach Freude daran gehabt, mich so zu schaffen.
Vielleicht reicht das auch schon.

Manchmal glaube ich:
Gott hat mich angeschaut und gesagt:
טוֹב מְאֹד – sehr gut.
Wie bei der Schöpfung.

Denn ich bin keine Frage für Gott. Ich bin eine Antwort.
Keine Ausnahme. Kein Irrtum.
Sondern ein Teil des bunten Spektrums, das Keshet heißt – Regenbogen.

Ich brauche keine Karte, die mir das sagt.
Ich bin diese Karte.
Ich bin das lebendige Zeugnis dafür, dass es stimmt.
Ich bin nicht „trotz allem“ da –
Ich bin genau deswegen da.

Und so blicke ich auf diesen Tag zurück.
Nicht als Opfer. Nicht im Zorn.
Sondern mit einem leisen, tiefen Atemzug.

Es war nicht perfekt.
Aber es war echt.
Und es war mein Tag.

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