In Zürich sind in den letzten Tagen antisemitische Plakate aufgetaucht – nicht nur an Tramhaltestellen, sondern auch direkt an den Türen der großen Synagoge an der Löwenstraße. Was wie ein politisches Statement gegen Israel aussehen könnte, entpuppt sich bei genauerer Betrachtung als eine gezielte Einschüchterung jüdischen Lebens in der Schweiz. Die Muster, Bilder und Parolen knüpfen nahtlos an alte antisemitische Traditionen an – von der NS-Propaganda im Stürmer bis zu den klassischen Verschwörungserzählungen, die seit Jahrhunderten gegen Juden gerichtet sind. Ein nüchterner Blick zeigt: Hier handelt es sich nicht um Kritik an Politik, sondern um offenen Hass gegen Menschen.
Offener Antisemitismus auf Zürcher Straßen
An Tram- und Bushaltestellen in den Zürcher Stadtteilen Enge und Wollishofen – Gegenden mit einer stark jüdisch geprägten Nachbarschaft – tauchten Mitte der Woche Plakate auf, die auf Hebräisch die Worte trugen: „Mörder, wir wollen euch nicht hier haben.“ Daneben: die palästinensische Flagge und der bekannte Kampfslogan „From the River to the Sea, Palestine will be free“.
Auf einem weiteren Plakat war eine Karikatur zu sehen: Eine Palästinenserin kehrt mit einem Besen sowohl einen israelischen Soldaten als auch einen religiösen Juden vom Tempelberg. Im Hintergrund prangen die Al-Aqsa-Moschee und der Felsendom. Das Bild bedient sich gängiger antisemitischer Bildsprache – überzeichnete Gesichter, entmenschlichende Darstellung, Hakennasen.
Noch alarmierender: Auch an der großen Synagoge an der Zürcher Löwenstraße wurden Poster angebracht. Sie zeigten Bilder aus Gaza, kombiniert mit Karikaturen israelischer Politiker – darunter Benjamin Netanyahu als Vampir. Damit knüpfen die Täter direkt an eine jahrhundertealte Tradition an, die Juden als „Blutsauger“ diffamierte. Das Motiv war ein fester Bestandteil antisemitischer Propaganda, insbesondere im nationalsozialistischen Stürmer.
Warum diese Plakate nicht „nur“ Israelkritik sind
Wer den Inhalt und die Platzierung dieser Plakate betrachtet, erkennt schnell: Es geht nicht um eine differenzierte Kritik an der israelischen Politik. Stattdessen greifen die Bilder und Worte auf antisemitische Stereotype zurück, die Juden als Kollektiv entmenschlichen und ausgrenzen.
- Sprache der Ausgrenzung
Der Satz „Wir wollen euch nicht hier haben“ ist keine politische Parole, sondern eine direkte Botschaft an Juden in Zürich. Damit ist die Grenze überschritten: Aus Israelkritik wird eine antisemitische Drohung. - Verschmelzung von Juden und Israel
Der Generalsekretär des SIG, Jonathan Kreutner, hat darauf hingewiesen, dass hier Israel und jüdisches Leben in der Schweiz bewusst vermengt werden. Das entspricht einem zentralen Kriterium der IHRA-Definition von Antisemitismus: Juden weltweit für die Politik Israels verantwortlich zu machen. - Visuelle Dämonisierung
Netanyahu als Vampir ist nicht bloß eine „böse Karikatur“, sondern ein uraltes antisemitisches Stereotyp. Im Stürmer wurden Juden als blutrünstige Monster gezeigt, die Kinder quälen und das Blut Unschuldiger trinken. Wer diese Bildsprache heute aufgreift, setzt diese Tradition fort – ob bewusst oder unbewusst. - Angriff auf Synagogen
Plakate an der Tür einer Synagoge sind nicht zufällig. Sie richten sich nicht an eine Regierung, sondern an eine religiöse Gemeinschaft, die in Zürich seit Jahrhunderten lebt. Wer Synagogen ins Visier nimmt, greift jüdisches Leben als solches an. Das ist Einschüchterung im öffentlichen Raum. - Instrumentalisierte Narrative
Auffällig ist auch die rhetorische Kehrtwende: Während Gaza zuvor regelmäßig als „Freiluft-KZ“ bezeichnet wurde, wird es jetzt – nach massiver Zerstörung – als wunderschöne Landschaft verklärt. Diese rhetorische Wende zeigt: Es geht nicht um Empathie für Palästinenser, sondern um die Dämonisierung von Juden.
Historische Kontinuitäten
Antisemitische Sprache und Bilder wandeln sich äußerlich, aber inhaltlich sind sie erschreckend konstant.
- „Juden raus!“ lautete es in den 1930er Jahren in Deutschland. Heute heißt es auf Hebräisch: „Wir wollen euch hier nicht haben.“
- Blut- und Vampirmotive waren ein Kernstück des mittelalterlichen wie des modernen Antisemitismus – von Ritualmordlegenden bis hin zu den NS-Karikaturen. Netanyahu als Vampir ist eine direkte Fortschreibung dieser Bildwelt.
- Synagogen als Zielscheiben: Schon 1938 während der Novemberpogrome wurden Synagogen als Symbole jüdischen Lebens angegriffen. Heute kleben in Zürich Plakate mit antisemitischen Karikaturen an Synagogentüren.
Diese Parallelen zeigen: Es geht nicht um eine „neue Form“ des Hasses, sondern um das Wiederaufleben uralter Muster – angepasst an aktuelle Debatten, aber inhaltlich identisch.
Antisemitismus im Diskurs
Erschütternd ist auch, wie in öffentlichen Debatten reagiert wird. Unter einem Bericht der Jüdischen Allgemeinen auf Facebook kommentierten manche Leser entsetzt über den offenen Antisemitismus und warnten, Zürich entwickle sich in gefährlicher Weise in Richtung Berliner Zustände. Doch diese Stimmen wurden sofort niedergebrüllt: als „zionistische Propaganda“, als „Verteidigung von Genozidären“, mit ironischen Spitzen gegen die „ach so barmherzige jüdische Gemeinschaft“.
Der eigentliche Antisemitismus wird damit nicht nur relativiert, sondern umgedeutet: Wer ihn benennt, gilt als parteiisch. Wer betroffen ist, darf nicht von Bedrohung sprechen, ohne sofort unter Verdacht gestellt zu werden. Dieses Muster – Täter-Opfer-Umkehr im Diskurs – ist ein weiterer klassischer Mechanismus des Antisemitismus.
Persönliches Fazit
Dass solche Plakate heute, im Jahr 2025, in Zürich kleben – nicht nur in Wohnvierteln mit vielen jüdischen Familien, sondern direkt an einer Synagoge – ist eine Zäsur. Es zeigt, wie ungeschützt jüdisches Leben auch hierzulande ist.
Ich schreibe das nicht aus Angst, sondern aus Klarheit: Wenn die Türen von Synagogen wieder zum Ort antisemitischer Hetze werden, wenn Parolen in hebräischer Sprache Juden direkt vertreiben wollen, wenn uralte Bilder von „blutsaugenden Juden“ wieder plakatiert werden, dann ist das keine Randerscheinung. Es ist ein Angriff auf die Sicherheit, Würde und Selbstverständlichkeit jüdischen Lebens in dieser Stadt.
Solche Vorfälle dürfen nicht relativiert, entschuldigt oder bagatellisiert werden. Sie sind Ausdruck einer Entwicklung, die nicht nur Juden betrifft, sondern das gesellschaftliche Fundament insgesamt. Wer schweigt, macht sich mitschuldig. Wer hinsieht und benennt, setzt ein Zeichen.
Wohin melden bei antisemitischen Vorfällen in der Schweiz?
Wenn Sie mit antisemitischen Schmierereien, Aufklebern oder Parolen konfrontiert sind – sei es im öffentlichen Raum, in Zügen, an privaten Häusern oder online – zögern Sie nicht, dies zu melden:
Polizei (Notfälle / strafrechtlich relevante Vorfälle)
📞 117 (Notrufnummer)
👉 Immer sofort die Polizei rufen, wenn es sich um Bedrohungen, Angriffe oder Sachbeschädigung handelt.
SIG – Schweizerischer Israelitischer Gemeindebund
📧 antisemitismus@swissjews.ch
🌐 http://www.swissjews.ch
👉 Nimmt Meldungen entgegen, dokumentiert Vorfälle und unterstützt Betroffene.
GRA – Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus
📧 gra@gra.ch
🌐 http://www.gra.ch
👉 Dokumentiert antisemitische und rassistische Vorfälle in der Schweiz und bietet Beratung.
EKR – Eidgenössische Kommission gegen Rassismus
Verwaltet die Meldeplattform reportonlineracism.ch für rassistische und antisemitische Hassrede im Netz.
Bei Vorfällen an privaten Gebäuden / im öffentlichen Raum
👉 Kontaktieren Sie die Hausverwaltung, den Eigentümer oder die zuständige Allmend- bzw. Gemeindeverwaltung, damit Aufkleber, Schmierereien oder Parolen umgehend entfernt werden.
Kantonal / Kommunal – Allmendverwaltung & Gemeindeämter
- Beispiel Basel-Stadt: Allmendverwaltung, Marktplatz 9, 4001 Basel – Telefon: +41 61 267 81 81 Allmendverwaltung (AV) Basel-Stadt
- (Für Zürich / Bern / Luzern / Biel sind ähnliche Gemeindeverwaltungen zuständig – auf deren offiziellen Websites findest du die Kontaktdaten.)
Meldemöglichkeiten – Städte in der Schweiz (inkl. Anti-Antisemitismus)
1. Stadt Zürich
- Schadenmelder-Plattform „Züri wie neu“
→ Für Mängel, Graffiti, Schmierereien und Vandalismus im öffentlichen Raum; auch Bushaltestellen, Hausfassaden etc. melden
Züri wie neu - Fachstelle Graffiti
Tel.: 044 412 20 27
E-Mail: graffiti@zuerich.ch
2. Stadt Bern
- Sauberkeits-Hotline
Tel.: 079 669 40 00
Für Unrat, Graffiti oder Aufkleber im öffentlichen Raum – werktags 06:00–19:00, Wochenende bis mittags
bern.ch - PINTO (Prävention, Intervention, Toleranz)
Tel.: 031 321 75 54
PINTO
Plattform für Meldungen bei Vandalismus, störendem Verhalten im öffentlichen Raum
3. Stadt Luzern
- Dialog Luzern – Schadenmeldung
Plattform http://www.dialogluzern.ch/schadenmelden
Meldung von Schäden wie Schmierereien, Graffiti, Vandalismus an Infrastruktur; inkl. Foto-Upload. Bearbeitung innert ~5 Arbeitstagen
4. Stadt Biel/Bienne
- Allgemeine Stadtverwaltung
Adresse: Mühlebrücke 5, 2502 Biel/Bienne
Tel.: 032 326 23 11
Ideal für Anliegen wie das Melden von Schmierereien an Gebäuden – z. B. über die zuständige Abteilung im Haus