„Wie viel Aufklärung braucht es noch?“ – Antisemitische Gewaltfantasien im öffentlichen Raum

Immer häufiger tauchen in Schweizer Städten Parolen auf, die längst keine politische Kritik mehr sind, sondern unverhohlene Gewaltfantasien gegen Jüdinnen und Juden – getarnt hinter Begriffen wie „Zionist“. Die jüngsten Schmierereien in Zürich und Bern zeigen eine neue Eskalation: Mordaufrufe im öffentlichen Raum, begleitet von Symbolen einer Terrororganisation. Dieser Text ist der Versuch, das klar zu benennen – analytisch, aber auch persönlich. Denn irgendwann stellt sich die Frage, ob Aufklärung überhaupt noch ankommt, wenn diejenigen, die Gewalt propagieren, genau wissen, was sie tun.

In Zürich sind an den Eisenbahnbrücken beim Sihlquai und am Bahnhof Wipkingen erneut Schmierereien aufgetaucht. Die üblichen Slogans – „Global Intifada“, „Antizionistas“ und ähnliche Parolen – waren wieder da. Neu hinzugekommen ist jedoch ein Satz, der alles bisherige eskaliert: „Death ZIOF“ – Tod den ‚zionistischen Faschisten‘.

Es ist schwer, solche Worte zu sehen, ohne dass sich etwas zusammenzieht. Es ist nicht einfach nur „anti-israelischer Protest“, wie manche gern behaupten. Es ist auch keine missverständliche politische Parole. Es ist ein Mordaufruf – mitten in Zürich, öffentlich, ungeniert.

Und nein: Das verstehen die Sprayer*innen ganz genau.
Ich frage mich inzwischen: Wie viel Aufklärung braucht es eigentlich noch?
Wie viele Workshops, wie viele Statements, wie viele Hinweise darauf, dass das Wort „Zionist“ seit Jahrzehnten als austauschbares Codewort für „Jude“ gebraucht wird? Dass diese Sprache historisch belastet ist und bewusst entmenschlicht? Dass solche Parolen seit jeher Gewalt legitimieren?

Denn eines muss klar benannt werden:
„Death ZIOF“ bzw. „Death to the Zionist Fascists“ – das ist nicht symbolisch oder metaphorisch. Das ist ein direkter Aufruf, Menschen zu töten, die man einfach mit einem politischen Label versieht. Der Begriff „Zionist“ wird in solchen Kontexten ja nicht analytisch, sondern als Feindmarkierung benutzt: Jeder, der nicht für die Vernichtung Israels ist, jeder, der jüdisch ist, jeder, der sich gegen Antisemitismus stellt, wird hineingeworfen. Es ist Einschüchterung und Entmenschlichung.

Die Menschen, die solche Slogans an Brücken sprühen, sind nicht „unwissend“.
Nicht „überfordert“.
Nicht „missverstanden“.

Sie wissen genau, was sie tun.
Sie benutzen Begriffe, die einschüchtern sollen. Sie richten ihre Botschaft an alle, die sie als Feinde definieren – und dazu gehören längst alle, die nicht für die Vernichtung Israels eintreten. Das Muster ist alt: Man erklärt eine Gruppe zur Gefahr und ruft dann dazu auf, sie zu vernichten. In der Sprache fängt es an.

Dass eine anonyme Crew die Schmierereien sofort dokumentiert und so gut wie möglich übermalt hat, ist ein Zeichen von Zivilcourage. Doch dass es überhaupt notwendig ist, zeigt das eigentliche Problem: Wir leben inzwischen in einer Realität, in der antisemitische Gewaltfantasien nicht im Verborgenen zirkulieren, sondern als Graffiti an Brücken hängen. So selbstverständlich, als wäre es ein Festivalplakat.

Und es ist ja nicht nur Zürich.
In Bern tauchte vor kurzem „Abolish Zionism“ auf – verziert mit zehn Hamas-Dreiecken. Das ist keine unbeholfene Symbolwahl, sondern ein klares Bekenntnis. Wer die Zeichen einer Terrororganisation anbringt, verteidigt nicht „Menschenrechte“. Er unterstützt eine Ideologie, die es auf die Ermordung von Jüdinnen und Juden abgesehen hat.

Ich wünschte, ich könnte noch glauben, dass es nur Unwissenheit ist.
Dass man es mit ein paar Informationen, einer Diskussion, einem Hinweis auf Geschichte und Realität klären könnte. Aber das wäre naiv.

Es gibt Menschen, die wollen es nicht besser wissen.
Sie wollen hassen.
Sie wollen einschüchtern.
Sie wollen drohen.

Und sie tun es mit einer erschreckenden Selbstverständlichkeit – in Städten, die sich gern tolerant, divers, offen nennen.

Was also bleibt?
Vielleicht dies: Die Dinge beim Namen zu nennen. Antisemitismus nicht schönzureden. Mordaufrufe nicht als „Aktivismus“ durchgehen zu lassen. Und solidarisch zu bleiben mit denen, die solche Botschaften tagtäglich zu spüren bekommen – sichtbar oder unsichtbar.

Zürich hat übermalt.
Aber die Frage, die bleibt, lässt sich nicht so einfach überdecken:

Wie viel Aufklärung braucht es noch – wenn diejenigen, die Gewalt propagieren, längst genau wissen, was sie tun?

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