Brigitte Bardot ist gestorben.
Viele trauern um eine Ikone, um ein Lebensgefühl, um eine Projektionsfläche.
Dieser Text ist kein Kommentar zur Trauer anderer. Er ist ein Nachdenken über Erinnerung – darüber, was wir erzählen, was wir verschweigen, und warum das theologisch nicht egal ist.
Brigitte Bardot ist gestorben.
Mein Feed ist voll von Trauer, Nostalgie, Schwarzweißfotos, Herzen. Eine Ikone sei gegangen. Eine große Tierfreundin. Ein Symbol einer vergangenen Zeit.
Ich kommentiere das nicht.
Wenn Menschen traurig sind, gehört ihre Trauer ihnen. Punkt.
Und doch bleibe ich irritiert.
Nicht wegen der Trauer an sich – sondern wegen dessen, was in dieser kollektiven Erinnerung konsequent fehlt. Gerade bei Menschen, die ich für reflektiert halte. Menschen, die sonst sensibel sind für Macht, Sprache, Diskriminierung.
Denn Brigitte Bardot war nicht nur Schauspielerin und Stil-Ikone.
Sie war auch – dokumentiert, verurteilt, wiederholt – eine Frau, die rassistisch, homophob und politisch extrem rechts aufgetreten ist.
Mehrfach wurde sie von französischen Gerichten wegen Aufstachelung zu rassistischem Hass verurteilt und verurteilt. Sie sprach öffentlich von „degenerierten Bevölkerungen“, von den „Genen von Wilden“, von „barbarischen Traditionen“. Sie wetterte gegen Migration, gegen „Rassenmischung“, gegen Frauen in der Politik.
In ihrem Buch Un cri dans le silence (2003) unterscheidet sie zwischen ihren „guten“ schwulen Freunden und jenen Homosexuellen, die – so wörtlich – mit wackelndem Hintern, erhobenem kleinen Finger und „kastrierten Stimmen“ als „Jahrmarktsfreaks“ auftreten würden. Worte, die nicht nur verletzend, sondern entmenschlichend sind.
Zur #MeToo-Bewegung äußerte sie sich abfällig: Frauen liebten doch Komplimente, das Ganze sei heuchlerisch.
Politisch unterstützte sie Jean-Marie und Marine Le Pen, nannte Marine Le Pen gar die „Johanna von Orléans des 21. Jahrhunderts“.
All das ist kein „Ausrutscher“, kein Missverständnis, kein aus dem Kontext gerissenes Zitat. Es ist ein konsistentes Muster über Jahrzehnte.
Und dennoch: Jetzt, nach ihrem Tod, scheint davon kaum etwas zu existieren.
Ich verstehe, warum Menschen trennen wollen.
Zwischen Werk und Person. Zwischen Erinnerung und Realität. Zwischen der Bardot der Filme und der Bardot der Interviews, Bücher und Gerichtsprozesse.
Aber vielleicht ist genau das der Punkt, an dem wir uns fragen müssen, was wir erinnern – und warum.
Warum fällt es uns so leicht, problematische Seiten auszublenden, sobald jemand zur Ikone geworden ist?
Warum wird Nostalgie so oft zu einem Weichzeichner, der Gewalt in Sprache und Haltung unsichtbar macht?
Ich meine das nicht moralisch überlegen. Ich meine es fragend.
Denn Erinnerung ist nie neutral. Sie ist eine Entscheidung.
Und hier wird es für mich theologisch.
Theologisch betrachtet ist Erinnerung nie unschuldig.
In der biblischen Tradition ist Erinnern kein nostalgisches Zurückschauen, sondern ein Akt der Wahrheit. Zachor – erinnere dich – heißt nicht: verschöne, sondern: halte fest, was war, damit es nicht wiederkehrt.
Darum sind biblische Erinnerungen oft unbequem.
Israel erinnert sich nicht nur an Befreiung, sondern auch an Versagen.
Könige werden nicht verklärt, Propheten nicht geglättet, selbst Glaubensvorbilder bleiben widersprüchlich. Die Schrift kennt keine Heiligenlegenden im modernen Sinn.
Erinnerung dient der Verantwortung – nicht der Imagepflege.
Gerade deshalb irritiert mich die Verklärung im Angesicht des Todes. Denn theologisch gesprochen hebt der Tod nicht die Wahrheit auf. Er macht sie nicht überflüssig. „Über Tote nur Gutes“ ist kein biblisches Prinzip, sondern ein kulturelles.
Im Gegenteil: Die Bibel kennt die Idee, dass ein Leben gewogen wird.
Nicht um zu richten – sondern um wahrhaftig zu erzählen.
Wenn wir nach dem Tod eines Menschen nur noch das Glänzende zeigen, löschen wir die Verletzungen aus, die von diesem Leben ausgegangen sind. Wir nehmen denen die Stimme, die getroffen wurden von Worten, Bildern, Ideologien.
Und vielleicht ist genau das der theologische Kern meiner Irritation:
Dass Erinnerung hier nicht mehr dem Leben dient, sondern der Beruhigung der Lebenden.
Natürlich freut man sich nicht über den Tod eines Menschen.
Auch ein problematisches Leben bleibt ein menschliches Leben. Auch Schuld hebt Würde nicht auf.
Aber Würde braucht keine Verklärung.
Sie braucht Wahrheit.
Theologisch gesprochen ist Wahrheit kein Hammer, sondern ein Licht. Sie entlarvt nicht, um zu zerstören, sondern um sichtbar zu machen. Und sie ist immer relational: Wer erinnert wird, steht in Beziehung zu denen, die von diesem Leben berührt wurden – im Guten wie im Schlechten.
Vielleicht ist es genau das, was mir fehlt:
Nicht Trauer. Sondern die Bereitschaft, Erinnerung als ethischen Akt zu begreifen.
Man kann den Tod eines Menschen bedauern, ohne ihn zu idealisieren.
Man kann Trauer respektieren, ohne Verklärung zu übernehmen.
Man kann sagen: Ja, diese Frau hatte Einfluss – und ja, dieser Einfluss war auch zerstörerisch.
Vielleicht schulden wir uns selbst – und denen, die von solchen Worten und Haltungen betroffen waren – eine ehrlichere Form des Erinnerns. Eine, die Komplexität aushält. Und Widersprüche. Und Unbequemes.
Ein Freund von mir, eine Schwester der Perpetuellen Indulgenz, hat genau das getan: Er postete eines der homophoben Zitate Bardots und schrieb nur:
« voilà, tout est dit ».
Vielleicht ist das nicht alles, was zu sagen ist.
Aber es ist etwas, das im Moment auffallend oft verschwiegen wird.
Man kann schweigen aus Respekt.
Man kann trauern aus Erinnerung.
Aber man sollte sich fragen, woran man erinnert.
Denn auch nach dem Tod bleibt Sprache wirksam.
Und auch Ikonen hinterlassen Spuren – nicht nur schöne.