Ein Jahr 7. Oktober

Der (oder das) Pogrom des 7. Oktober 2023 liegt nun bereits ein Jahr zurück. Es ist kaum zu glauben.

Ich erinnere mich nur allzu gut an diesen Samstag morgen. Aus irgendeinem Grund war ich früher aufgemacht. Griff zum Handy, Instagram aufgemacht. Ich konnte kaum glauben, was ich da in meinem Feed sah, überall, fast live: fliehende Menschen, schreiend, panisch, Raketen in der Ferne. Der Ausdruck der schieren Angst um das Leben in den Augen wird mich niemals verlassen, genauso wie einige andere Bilder. Es war eine Hetzjagd, eine Treibjagd – doch hier waren junge Menschen auf einem Musikfestival das Wild, unbarmherzig gejagt, gefoltert, geschändet, entführt oder erlegt.

Ich brauchte ein paar Momente, bis mein Hirn realisierte, was da geschah – wirklich geschah an Entsetzlichem. Und das Morden, und all das andere, das alle Vorstellungskraft übersteigt, ging in den Kibbutzim weiter bis schliesslich ausgewählte Opfer und Überlebende gleich lebendigen Trophäen als Geiseln nach Gaza gebracht und vorgeführt wurden.

Ein Jahr ist es her – und gleichzeitig fühlt es sich wie mehr und wie weniger an; die Zeit hat ihre eigene Dynamik angenommen, und gleichzeitig ist es, als wäre sie stehengeblieben. Eines ist jedoch sicher: es gibt ein klares Vorher und Nachher.

Gepostet am 31. Oktober 2023

Das Nachher fing direkt mit einer zuerst leisen, und dann immer lauter werdenden Stille an. Manchmal ist diese Stille immer noch elendig laut, und anderenorts wird sie vom ohrenbetäubenden Geschrei der Demonstrationen abgelöst. Diese begannen bereits am 8. Oktober, als weder die verbrannten und zerstörten Häuser, noch die Leichen der hingeschlachteten Menschen im Süden Israels kalt waren: da feierte man auf den Strassen des Westens von der Sonnenallee in Berlin bis zu den Strassen New Yorks die «Helden des Widerstands» und den «Ausbruch aus dem Gefängnis». Das hämische Lachen und hasserfüllte Kommentare zu Bildern durchsiebter und blutüberströmter Kindersitze und -wägen, verbrannter Leichen und geschändeter Frauen liess auch auf social media nicht nach – nein, man lief sich erst warm. Am 8. Oktober sah ich Menschen und z.T. ehemalige Freunde den «Widerstand» feiern, und Ende Oktober leugneten andere, dass das Massaker der Hamas überhaupt stattgefunden hatte.

Eines der Geschehnisse, die mich direkt nach dem 7. Oktober sehr geschockt haben, war ein Seminar an der Universität Bern, bzw. ein Teil davon. Dieses war ein Pflichtteil meines Studiums. Ich verstehe bis heute nicht, wie der Dozent, der dafür verantwortlich war, so derart unsensibel sein konnte. 

Seit den Nachrichten des 7. Oktobers hatte ich so gut wie nicht mehr geschlafen, und so fuhr ich zu dem für mich verpflichtenden interdisplizinären Seminar. Dort fand dandd ein Vormittag über «Palästinensische Befreiungstheologie» statt – nicht einmal eine Handvoll Tage nach dem Morden. Als ich den Dozenten darauf ansprach, und wie ich mich seit dem Morgen des 7. Oktobers fühlte, war die lapidare Antwort nur, «dass es wichtig wäre, jetzt auf die Opfer zu hören». Bitte was? Wer war gerade vor wenigen Tagen erst von der Hamas hingeschlachtet, entführt, gefoltert und vergewaltigt worden? Diese Antwort erscheint mir heute noch genauso zynisch und menschenverachtend wie vor einem Jahr, bar jeglichen Mitgefühls. Sie war jedoch geradezu ein Ausblick dessen, was noch kommen sollte von pro-palästinensischen Aktivisten jeder Couleur. So lasen wir dann unter anderem Texte von Raheb Mithri, einem eingefleischten Antisemiten und Rassisten, und von Naim Ateek – Texte gegen «zionistische Bibelauslegung». Dann sollen sie doch lieber Markion folgen… Vergessen werde ich das wohl nie, ob ich es irgendwann vergeben kann, steht auf einem anderen Blatt geschrieben. Ich sass in diesem Seminar, und es fühlte sich an, als würde ich im falschen Film sitzen. Keinerlei historische Einordnung, keinerlei Erklärungen, dafür die altbekannte (falsche) grün-weisse Landraub-Karte.

Das war jedoch nur der Anfang.

Freunde und Bekannte blieben still und sind es immer noch, andere «verabschiedeten» sich leise, oder lautstark mit Beschimpfungen. Social media wurde zu einem Minenfeld des Hasses. Der Judenhass entfesselte sich ohne Komplexe, mal getarnt als Antizionismus, und manchmal völlig offen. Es reichte schon, dass ich meine Betroffenheit über die Schrecken des 7. Oktober ausdrückte, das Entsetzen, meine Trauer – ohne irgendwelchen Hass gegenüber palästinensischen Menschen. Das reichte, um in Kommentaren zurück nach Auschwitz, in Öfen oder sonstwohin geschickt zu werden; um Hund genannt zu werden, oder dass Leute ihr Bedauern ausdrückten, dass ihre Grosseltern früher Juden versteckt hätten, oder dass Hitler recht gehabt hätte. Dazu kommen zahlreiche «Free Palestine!» Kommentare unter simplen «Shabbat Shalom» Grüssen, und Anfeindungen in Privatnachrichten – «Du bist als nächstes dran!».

Trauern? Über das Geschehene sprechen, ohne befürchten zu müssen, angefeindet zu werden? Fehlanzeige. 

Dann gingen die sogenannten «Pro-Palästina» Demonstrationen los, welche allerdings korrekterweise eher als Anti-Israel und Pro-Terror Demonstrationen zu bezeichnen wären. Kaum ein Tag war vergangen seit dem Pogrom, da organisierten sie sich, weltweit. Und weltweit, keine Woche, kein Tag ohne Aufrufe zu mehr Gewalt an Israelis und Juden, dazu Journalisten die solches als «friedliche Proteste» beschreiben. Das Wort «Genozid» tauchte gleich von Anfang an auf – ein Hohn gegenüber allen Genozidopfern im Darfur und anderswo, die diese Protestierenden nicht interessieren oder nur später wie ein Anhängsel des guten Gewissens an die Slogans angehängt wurden; vor allem aber Hohn, Spott und Angriff nicht nur auf Israel, sondern auf Juden, Judentum und Shoaherinnerung die in perfekter perfider Täter-Opfer-Umkehr von nun an verdreht wurden.

Am 18. Oktober – das Narrativ war somit schon von Anfang an festgelegt.

Nicht nur die Genozid-Vorwürfe erschallten täglich -oder waren täglich zu lesen, und wenn man denen nicht sofort explizit zustimmte, wurde und wird man als «genozidär» oder Kindermörder bezeichnet-, auch die Rufe nach einer globalen Intifada und «From the River to the Sea» sind nun stets gegenwärtig in der einen oder anderen Form.

Die Universitätsbesetzungen waren keinen Deut besser. Nicht nur, dass sie mit ihren unrealistischen Forderungen nichts dort zu suchen hatten und das Klima für andersdenkende vergifteten, zudem an einem Workshop, den ich probeweise besuchte (ich wollte wirklich einmal hören uns sehen, was dort gesagt wurde, und erst hinterher urteilen), Unwahrheiten erzählt – also gelogen. Das hilft den Menschen in Gaza nicht. Immer wieder wird krampfhaft versucht, Judentum von Israel zu trennen. Es wird fein säuberlich versucht zu spalten: zum einen, um die Juden aus Israel zu bekommen (pardon, die Zionisten), zum anderen, um das eigene absurde Gedankengerüst ohne schlechtes Gewissen aufrecht erhalten zu können: mit Juden hätte man keine Probleme, nur mit Zionisten -und die wären ja schliesslich keine „echten Juden“, da nicht gläubig, nicht religiös. So kann man dann auch nach Intifada rufen und den Zionismus überhaupt für alle Übel überall in der Welt verantwortlich machen, so dass die Welt ent-zionisiert werden müsse.

Während ich mir anfangs noch die Frage stellte, ob einige naive Menschen sich im Unklaren darüber waren, was eine Intifada ist, besonders im israelischen und jüdischen Kontext, stelle ich sie mir nun nicht mehr. Es ist ein Jahr vergangen. Diejenigen, die zu einer globalen Intifada aufrufen, wissen genau, was sie tun, und wozu sie aufrufen. Was die erste und die zweite Intifada waren, ist kein Geheimnis. Es reichen ein Geschichtsbuch, oder eine Suche auf Google oder Youtube. Ich habe selbst einen lieben Menschen in der einer der Intifadas verloren, und das Ende, oder die Nachwehen der zweiten Intifada in Israel erlebt. Eine Bushaltestelle, an der ein Rucksack explodierte, gerade nachdem wir an ihr vorbeigelaufen waren. Eine Qassam, die fiel, als wir im Süden waren – damals gab es noch keinen Iron Dome – , ein Feuergefecht 20 Autominuten von Ramallah. Einmal falsch abgebogen auf einer Landstrasse war ich dankbar, dass die IDF mich angehalten hat und wieder in die richtige Richtung geschickt hat. Mit israelischen Autoschildern hätte das auch anders enden können.

Und doch rufen Demonstranten und Aktivisten allerorts zur Ausweitung genau solcher Gewalt auf (und nennen sich dabei «Friedensaktivisten»!) ohne sich auch nur den Anflug der Frage zu stellen, ob ihr moralischer Kompass defekt sein könnte. Folterungen, Erschiessungen und Vergewaltigungen werden «legitimer Widerstand» genannt, und dazu oft noch von Menschen, die in ihrem Leben noch nie in Gefahr waren. 

Bilder oben: Leila Khaled Fandom bei der Universitätsbesetzung Bern, Hamas-Dreieck in Zürich, Palästina „Friedensdemo“ und dazugehörige Sticker in Basel am 5. Oktober 2024

Man soll anderen ja nichts Böses wünschen, doch frage ich mich manchmal in Momenten der Wut, ob die Herr Müllers und Frau Meiers und alle anderen, die so inbrünstig nach Intifada rufen, sie nicht erst einmal selbst am eigenen Leib erfahren sollten, bevor sie einer anderen Volksgruppe global wünschen – uns Juden. So wie zum Beispiel wieder bei der letzten Palästina-Demo in Basel, angemeldet als «Friedensdemo», die aber die Märtyrer pries und eine globale Intifada forderte – also was denn von beiden: Frieden oder Intifada? Oder den Grabesfrieden nach der Intifada? Denn dass, wozu sie im Namen der Verhinderung eines Völkermordes aufrufen, ist nichts anderes als ein anderer Genozid, die Vollendung des Projektes von wahlweise Hitler, Amin Al-Husseini, oder der Gründungscharta der Hamas in direkter Linie. Sie mögen es nicht wahrhaben wollen, doch es ändert nichts daran. Wenn sie denn nun also meinen, und trotz aller Erklärungen weiter darauf bestehen – dann sind sie und ihre Liebsten vielleicht die ersten, die diese so sehnlich herbeigewünschte Intifada zuerst einmal kosten sollten. «Was Du nicht wünscht, dass man Dir tu, das füg auch keinem andern zu» – oder, das wünsche, oder fordere auch für keinen anderen Menschen. Oder etwa doch? Oder wie?

Die Menschen und Communities, denen ich mich zugehörig fühlte, wandelten sich – oder zeigten nun erst ihr wahres Gesicht. Safe spaces, sichere Orte, waren es nun nicht mehr und änderten sich gar in ihr Gegenteil – oder waren nur ‘safe’ nach entsprechend bestandener Gesinnungsprüfung. Queere und queerfeministische Räume und Events sind entweder effektiv nicht mehr sicher, oder fühlen sich nicht mehr sicher an, das gleiche gilt für linke, alternative und BiPoC Räume – eigentlich alles ist von «pro-palästinensischem» Aktivismus geflutet, unterwandert, beeinflusst. Kaum noch eine Veranstaltung, Demonstration oder ähnliches (egal wie weit sie von der Thematik entfernt sein mag), die nicht «für Palästina» gekapert wird. Ausser vielleicht der nächsten Sitzung des Kleingartenvereines. Und alles, was nicht passt, wird verhöhnt, beschimpft, bedroht, zum Schweigen gebracht, besprayt, überklebt, abgerissen, zerstört, belästigt, übertönt oder in sein Gegenteil verdreht; selbst vor Geschichtsrevision wird nicht zurückgescheut. Plötzlich macht acht plus fünf sechzehn. Oder manchmal neun. Je nachdem. 

Bei Frauen ist es ja auch so: je nachdem. Noch im Jahr vorher stand ich vor dem feministischen Streik zum Slam mit Tamara Funiciello auf der Bühne – doch nun blieben (so gut wie) alle offiziellen und selbst ernannten Feministinnen still. Sie schwiegen, was die von der Hamas verübte sexuelle Gewalt anging. Als Überlebende von zum Teil brutaler sexueller Gewalt finde ich es erschütternd, wie mit Menschen umgegangen wird, nur weil sie zur falschen Volksgruppe gehören, wo man sich sonst für genau diese Belange einsetzt. Das reichte von UNwomen bis zur lokalen SP, aber auch Freundinnen – anscheinend sind jüdische Frauen Nicht-Frauen. Das würde es erklären. Denn Judenhasser wollen sie alle nicht sein, sagen sie zumindest. Nur mit den Zionisten, da hätten so einige ein Problem. Drum sag ich ja: je nachdem, auch bei den Frauen. 

LiebesTerrorerklärung an der Bern Pride 2024

Bei jüdischen Queers verhält es sich nicht anders. Wir sind alle, oder zumindest die meisten von uns, heimatlos geworden, was die queere community angeht. Das zeigte sich an Anlässen wie der Bern Pride 2024 wo «Queers for Palestine» skandierten «Zionisten können sich verpissen» und auf einmal wie von Zauberhand auf unserem Weg – uns, der kleinen jüdischen Laufgruppe an der Pride – ein Schild mit dem roten Hamasdreieck dastand, auf dem «Flintifada» stand. Aber auch anderweitig ist Hass und Judenhass aus der queeren community herausgeflossen, wie aus einer reifen Eiterblase, die man zersticht. Da war nicht nur die Rede eines Vorstandsmitglieds von TGNS während bereits genannter Bern Pride, es kam auch keine nennenswerte Reaktion vom Vorstand oder Präsidium bei Nachfrage. Oder ich denke an den Judenhass auf der Instagram Seite von Ballroom Bern… alles nur punktuelle Beispiele. Früher aktivistisch unterwegs, habe ich mich jetzt aus dieser «Community» zurückgezogen – dieses Gift brauche ich nicht. Ich atme nicht die gleiche Luft wie Judenhasser. Warum sollte ich mich dem aussetzen? Ich unterstütze lieber meine queeren jüdischen Geschwister, die nun genauso im Regen stehen, und die wenigen anderen, die noch da sind. Ich dachte immer der LGBTQIA+ community geht es um Inklusion und diversity -doch scheint diese limitiert zu sein. Entweder es wird einem Pinkwashing vorgeworfen, wenn man doch einfach nur lesbisch, schwul, trans*, inter* etc. ist, oder es wird einem das Queersein abgesprochen – auch schon vorgekommen.

Gruppen, die sonst bei jeder Mikroaggression aufschreien, rufen jetzt nach Mord, Totschlag und Vernichtung – nach der Auflösung, bzw. Endlösung für die Juden und ihren Judenstaat – «there is only one solution». Dass sie dabei das Wort «Jude» durch «Zionist» ersetzen, macht keinen Unterschied – diese Camouflage ist ein reiner Selbstbetrug zum Versuch eines guten Gewissens. Zum einen sind, je nach Umfrage, 85-95% aller Juden Zionisten (was je nach Definition erst einmal für sie heisst, dass sie für das Existenzrecht Israels einstehen, und ebenso für das jüdische Selbstbestimmungsrecht – also nicht mehr, wie die letzten 2000 Jahre, von der Gnade der anderen abzuhängen in den Ländern, in denen wir leben). Zwar wird diese Tatsache oft abgestritten, doch verhält es sich hier wie mit der Luft: ich kann zwar sagen, dass sie nicht existiert, weil ich sie nicht sehe, aber sie ist trotzdem da. Bereits Améry und Adorno schrieben in den 1970ern über den linken Judenhass, und das Ersetzen des Wortes «Jude» durch «Zionist», um nicht als vermeintlicher Judenhasser ertappt zu werden. Alte sowjetische Strategie.

Denn was wäre schlimmer gewesen nach dem Ende des 3. Reiches, denn als Judenhasser dazustehen? Soziale Ächtung, zumindest öffentlich. Hinter vorgehaltener Hand verschwanden Hass und Ressentiments gegen den «ewigen Juden» natürlich nicht, nach tausenden von Jahren der Tradition. So bekam der Judenhass neue Kleider.

Alte Motive wurden in neue umgewandelt: Israel wurde zum Juden unter den Nationen, statt den Juden sind es nun die «Zionisten», statt der vergifteten Brunnen sind es nun Impfstoffe, statt der Pest ist es Covid oder Polio, statt Kinderblut für Matzen sind es palästinensische Organe. Einzig allein unverändert seit dem Mittelalter bleibt der Mythos vom Geldjuden: die Hochfinanz, die Ostküste, wieviel hat Israel euch gezahlt? Und auch ein stets Langzeit-Bestseller, die verquere Idee, dass die Juden sämtliche Arten von Medien in der Tasche haben: die jüdische, ach, die zionistische Weltverschwörung.

Auf Instagram gepostete Bilder, die eine Art der Holocaust-Inversion sind.

Auch die Linke, die sich sonst stark für Minderheiten und gegen alle Arten von Diskriminierung einsetzt, ist bis auf wenige Einzelfälle nicht mehr wiederzuerkennen. So ist es, wenn man Seite an Seite mit Islamisten marschiert und selbst Denkanstösse wie Oktober in Europa nicht mehr versteht (verstehen will). Aber so hat sich für einen Grossteil eine einfache Lösung eines lästigen Problems gefunden: die Shoah wurde nie aufgearbeitet, und so wird man den Schuldkomplex, Nachfahren der Täter und Täterinnen zu sein, mit dem gutem Gewissen, sich für die «gute Sache» einzusetzen und nun nach so langer Zeit den «stetigen Mahner» loszuwerden. Geduldet werden -zumindest zeitweise- nur noch die Juden, «Tokens», die mit den eigenen Ansichten übereinstimmen und sich so für die eigenen Zwecke einspannen lassen – ganz egal, dass sie nur eine kleine Minderheit innerhalb der jüdischen Gemeinschaft darstellen (und man sich über ein gleiches Vorgehen bei einer anderen Minderheit empören würde). Nun lässt sich der angestaute Judenhass -mit oder ohne frommes Deckmäntelchen- endlich wieder mehr und mehr ungeniert ausleben, online aus auch per Papier und in den Strassen. Nur Antisemit, dass will niemand sein.

Antizionist ist man heute. Muss man sogar sein – und wer sich gegen diesen offen aufbrechenden Judenhass stellt, sei es durch klar ausgesprochene Worte, durch kurze Zeilen auf Instagram oder X, indem man Kreideschmierereien verändert oder per Wasserflasche wegspült, oder Intifada-Sticker abreisst oder überklebt oder, welche Frechheit, Sticker mit den Bildern der Geiseln) die unsere Brüder, Schwestern, Mütter, Väter, Cousins, Freunde, Kinder sind) aufhängt, der wird angefeindet, bespuckt, geschlagen, fotografiert, eingeschüchtert, gestalkt, an der Arbeit belästigt, bedroht, mit Gewalt bedroht, gedoxxt, beschimpft, bekommt Hasskommentare auf social media oder dessen accounts bzw. posts werden gemeldet – und im Zweifelsfall nicht nur die Person selbst, sondern seine ganze Familie mitsamt Kindern. Da stellt sich dann doch die Frage, wer hier auf welcher Seite steht… bzw. mir stellt sie sich nicht.

Aus dieser Liste kann ich bis jetzt für mich bis jetzt als am eigenen Leib erlebt folgende abhaken: angefeindet, fotografiert, eingeschüchtert, an der Arbeit belästigt, bedroht, mit Gewalt bedroht, beschimpft, bekommt Hasskommentare auf social media oder dessen accounts bzw. posts werden gemeldet. 

Ja, das vergangene Jahr war nicht ohne. Zerbrochene Freundschaften, Stille und Enttäuschungen – wobei die letzteren ja lediglich das Ende einer Täuschung sind; ich habe mich in anderen getäuscht, oder der anderen Täuschung ist endgültig aufgeflogen.

Immer wieder hoffen und bangen, Schmerz und Trauer, warten Tag um Tag nach neuen Enthüllungen über das Ausmass dessen, was am 7. Oktober geschah, um das Ergehen der Geiseln und ihrer Familien; Wut und Trauer um die, die kaltblütig und unnötig gequält und ermordet wurden. Gleichzeitig Freude über die, die im Austausch freikamen und die, die gerettet wurden – und jeden Tag ein neues Hoffen auf eine gute Nachricht über die Rückkehr der Geiseln. Und ebenso Betroffensein über all das Leid, die Zerstörung – letztlich, die Ohnmacht. Hoffen auf Frieden – wirklichen Frieden, gerechten Frieden, nicht nur das Schweigen der Waffen. Frieden, der Sicherheit und Hoffnung auf ein besseres Leben in Würde und Freiheit für alle vom Iran bis zum Mittelmeer bringt.

Anstelle der vermeintlichen Freunde, die gegangen sind, sind neue dazugekommen, und andere haben sich als wirkliche und wahre Freunde gezeigt, wieder und wieder – seien sie jüdisch, christlich, muslimisch, einer anderen Religion, oder gar keiner angehörig, oder egal aus welcher Ethnie, queer oder nicht.

Ich habe iranische Aktivisten wie Elica LeBon und palästinensische Aktivisten wie Ahmed Fouad Alkhatib und Hamza Howidy schätzen gelernt. Warum hören «unsere» linken Demonstranten nicht auf Leute wie sie, und laden stattdessen lieber Mohamed Khatib ein?

Und ich durfte eine jüdische Gemeinschaft, jüdische Menschen -und Menschen die mit ihnen zusammenstehen und für sie einstehen- entdecken, die zwar nicht immer über alles einer Meinung sind, aber die zusammenhalten und sich zusammen füreinander, für Familie und Freunde in Israel und für Eretz Yisrael einsetzen – und dass nicht aus Hass, sondern aus Liebe. 

Aus Liebe, und Liebe zum Leben.

So haben wir zusammen geredet, geweint, gelacht, uns umarmt, zusammen gegessen, uns unterstützt; Aktionen wurden ins Leben gerufen mit viel Herzblut und Engagement. Mal im Sonnenschein, mal im Regen, bei Hitze oder Kälte; ohne Geschrei, Aggressionen oder Megafone aber dafür mit viel Liebe.

Diese Aktionen waren und sind wunderbar, schön und wertvoll, ebenso wie die neuen und alten erneuerten Freundschaften, und haben mehr verbunden, als die anderen uns auseinanderreissen können. Märsche gegen Antisemitismus, Container-Aktionen die die Lebensbedingungen der Geiseln in den Hamas-Tunneln nachempfinden lassen; das Gelbe Piano für Alon oder das Essen gegen das Vergessen in Basel oder als Laufgruppe zusammen an die Pride gehen sind einige Beispiele sind einige der Aktionen, die diese wunderbaren Menschen organisiert haben.

Denn – Mir Veln Zey Iberlebn!

עם ישראל חי

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