Diesen Sonntag beginnt in Basel der ESC mit dem Turquoise Carpet Event, der Eröffnungszeremonie. Der Turquoise Carpet Event beginnt um 14 Uhr beim Basler Rathaus. Dort wird Basels Regierungspräsident Conradin Cramer, als auch Vertretende der SRG und EBU eine Willkommens-Rede halten und die Delegationen nacheinander begrüssen. Ebenfalls dort beginnt auch der türkise Teppich, welcher auf einer rund 1,3 Kilometer langen Strecke über die Mittlere Brücke bis Eurovision Village führt. Es wird ein «einzigartiges Spektakel mitten in der Basler Altstadt» versprochen, und Basel verweist nicht ohne Stolz darauf, dass dies der längste türkise Teppich der ESC-Geschichte sei.
Was auch lang ist, ist die Liste der jüdischen Menschen, die sich nun Sorgen machen (müssen), sich selbst canceln oder unsichtbar machen (müssen) oder sich ganz einfach während des ESC verstecken werden oder das Land verlassen werden.
Das sicher nicht, weil sie den ESC nicht mögen, nein. Viele von ihnen hätte gerne an der fröhlichen Feier teilgenommen, oder sie auf jeden Fall den anderen gegönnt, zwischenfallslos. Und viele hätten gerne Yuval Raphaël gesehen. Nicht wenige kennen sie. Sie war bereits vergangenen Dezember in Zürich, bei einer Gedenkveranstaltung für den 7. Oktober. Yuval ist eine Überlebende des Hamas-Massakers im Süden Israels. Sie überlebte, sich unter einer Leiche totstellend während um sie Granaten explodierten. Dass sie überhaupt weiterlebt, aufrecht steht – und nun auch noch singt, ist ein Zeichen von Resilienz. Sie ist ein Zeichen, ein Symbol für uns alle, für jüdische Geschichte und jüdische Menschen – und besonders jüdische Frauen.
Und genau dagegen stellen sich Gruppen von Hassern und Hetzern, deren Ziel es ist, Yuval daran zu hindern, am ESC -dessen Motto «United by Music» ist – teilzunehmen. Auch Nemo, die gewinnende Person von letztem Jahr, hat sich dem Aufruf angeschlossen: Yuval soll ausgeschlossen werden. Nemo, sonst Inklusion fordernd, fordert jetzt Exklusion. Wäre es Nemo ernst, würde sich Nemo jetzt selbst exkludieren, statt andere in Bedrängnis zu bringen. Doch – vielleicht ist des Rätsels Lösung viel einfacher: Nemo will die Fans aus Nemo’s Bubble nicht verlieren, da ist dieser Move (fast schon) notwendig.
Seit Wochen rufen Gruppen zum Boykott auf, versuchen die ESC-Leitung dazu zu bringen, Israel bzw. Yuval auszuschliessen. Es hat sich gar eigens eine anonyme Gruppe dafür gebildet, die sich ESCalate for Palestine nennt. Interessanterweise erwähnt niemand von deren Seite Yuval: wie würde es aussehen, wenn sie sich direkt gegen eine Massaker-Überlebende wenden würden?
Sie würden ihr wahres Gesicht zeigen. Stattdessen sprechen sie lieber vom «zionistischen Gebilde» oder «zionistischen Kolonialprojekt», eine Sprache, die direkt aus (damals noch) sowjetischen als auch islamistischen Kreisen kommt. Es wird zu unbewilligten Demos -besonders am 11., 15. und 17. Mai aufgerufen also auch anderen Aktionen – gleich nach der Eröffnungszeremonie soll Yuval und ihrer israelischen Begleitung klar gemacht werden, «dass sie in Basel nicht willkommen ist und sie hier nichts zu suchen hat».
Es werden Demonstrierende aus der ganzen Schweiz, aber auch mindestens aus Deutschland und Frankreich erwartet, die als (zumindest potentiell) gewaltbereit eingestuft werden. In social media werden Treffpunkte abgemacht, so z.B. Bhf Freiburg im Breisgau, um über den Badischen Bahnhof nach Basel zu kommen und den «Türkisen Teppich» «palästinafarben» zu machen. In einem kurzen Spaziergang durch einen kleinen Teil der «Eurovision Street» konnten weit über 100 feindselige Sticker gesichtet werden. Wer sich an die Szenen der Gewalt in Malmö erinnert, kann erahnen, was hier auf uns zukommen könnte.
Israel hat inzwischen Reisewarnungen für die Schweiz erlassen. Wer hätte gedacht, dass Israel jemals Reisewarnungen gerade für die friedliche, verschlafene Schweiz erlässt? Doch es wird gewarnt, dass man sich nicht als jüdisch zu erkennen geben soll, keine jüdischen Symbole wie Davidsstern, Kippah etc. tragen soll, Notfallnummern bei sich haben soll – da es beim Erkennen als jüdisch/israelisch lebensgefährlich werden kann.
Und wieder trifft es die jüdische Bevölkerung, die unter dem Deckmantel «wir sind nicht gegen Juden, nur gegen die, die wir als Zionisten bezeichnen» angepöbelt, eingeschüchtert und bedroht wird und sich letztlich vor der dem Ansturm selbst canceln muss, oder der Gefahr aussetzen muss.
Denn es gibt auch hier Menschen, die liebe Menschen, Freunde, Verwandte, Angehörige, an jenem Tag verloren haben; deren Heimat Israel ist, die Yuval kennen, und gerne wie alle anderen Fans einfach nur dabei sein möchten, sich freuen, jubeln, anfeuern, mitfiebern.
Und dies alles gilt als «Meinungsfreiheit», die goldene «Demonstrationsfreiheit». Natürlich ist diese wichtig – doch wie weit darf diese gehen? Die Aufrufe sind von Anfang an voller israelfeindlicher Rhetorik und Symbolik, die auch keinen Platz für Frieden lässt. Es ist keine Bewegung, die für Frieden steht – sondern das Gegenteil. Eine Meinungs- und Demonstrationsfreiheit, die Antisemitismus stillschweigend toleriert, ist kein schlechter Kompromiss, sondern Gift. Zuerst für die jüdische Bevölkerung, dann für andere Minderheiten und schliesslich für die restliche Gesellschaft.
Doch die Judenhasser sehen das anders: Wie oft wollten die, die uns hassen, uns auslöschen: sei es paganer, christlicher, muslimischer, völkisch-rechter oder linker-antizionistischer Judenhass – doch wir standen wieder auf, standen auf, liefen weiter, sangen unsere Lieder, beteten unsere Gebete und feierten unsere Feste. Yuval steht nicht für die Taten eines Staates, sondern die Seele eines Volkes; und Israel besteht nicht nur aus einem Ben-Gvir, Smotrich und einem Netanyahu und deren Wünschen, Worten und Ordern – Israel ist Heimat, Israel ist Seele, sind Menschen, ist Land, Herz und Lebensatem.
Im Hass und ihrer Selbstgerechtigkeit der Judenhasser ist Israel und dessen Ausschluss -sinnbildlich für dessen Auslöschung, die sie so sehr herbeisehnen- das Einzige, dass sie interessiert. Andere Länder, in denen Menschen leiden, andere Kriegsschauplätze, an denen Kriegsverbrechen geschehen, interessieren sie nicht (für den ESC: Azerbaidjan, anyone?). Es wird munter mit zweierlei Gewichten gewogen und Massen gemessen, Doppelmoral ist kein Problem (wenn überhaupt eine Moral). Letztendlich interessiert das Schicksal der Palästinenser auch nicht: welche pro-Palästina Aktion hat den mutigen Aufstand der Gazaner in den letzten Wochen unterstützt? Wer hat die Verbrechen der Hamas gegenüber ihrem eigenem Volk outcalled? Sogar die Fatah hat es letztendlich getan, während «pro-Palästinensische» Proteste hier wie wahnhaft nur das Ziel haben, Israel zu zerstören und ihnen dafür jedes Mittel recht ist; so kann man endlich dem Judenhass in alt-neuem Vokabular freien Lauf lassen.
In ein paar Stunden beginnt das Fest. Eigentlich wollte wir als Gruppe hingehen: ein paar jüdische Menschen, Israelis, und ein paar Freunde – uns freuen, Flaggen mitnehmen – ja, so wie es auch die anderen machen, die da am Strassenrand stehen werden bei der Eröffnungszeremonie und am türkisen Teppich. Es wird sich Franzosen mit französischer Flagge geben, Spanier mit spanischer Flagge, Holländer mit holländischer, Engländer mit britischer Flagge – und wir wollte mit der israelischen Flagge dort stehen und Yuval anfeuern. Von Seiten der Polizei ist das Sicherheitsrisiko viel zu hoch, um unsere Sicherheit als sichtbare Gruppe zu gewährleisten. Das Risiko, das es eskaliert, ist zu hoch. In einer grossen Menschenmenge ohne Schutz kann leicht etwas ausser Kontrolle geraten, andere lassen sich mitreissen oder aufstacheln – oder aber andere bekommen nicht mit, was passiert.
Die Polizei wird mit 1’300 Einsatzkräften, Hilfe von Armeespezialisten, Videokontrolle und Drohnenverbot vor Ort sein – und dennoch bleibt die Sorge gross, gerade wegen eventuellen radikalisierten Einzeltätern. Dass diese nicht zu unterschätzen sind, ist inzwischen (leider) bekannt. Um die gesamte Bevölerung zu schützen, sind die Beamten völlig ausgelastet – an dieser Stelle: Danke für ihren Dienst!
Sicherlich gibt es die Möglichkeit, in der Veranstaltungshalle beim Song Contest selbst die Flagge zu zeigen, oder in designierten Fan Zonen im ESC-Village (nicht öffentlich) – doch wäre es schön und wichtig gewesen, dies auch ausserhalb und öffentlich tun zu können, ohne Sorge und Einschüchterung.
Was bleibt mir zu sagen? Ich hoffe auf möglichst wenige, oder am besten, keine Zwischenfälle, und einen ESC ohne Hass. Ein Wunschtraum, ich weiss. Aber man darf ja träumen.
Guter Artikel
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