We Will Dance Again – Jüdisches Leben und Kultur in Bern in Gefahr

Seit dem 7. Oktober 2023 erleben jüdische Menschen in Bern und der Schweiz eine eskalierende Welle von Hass, Bedrohung und Ausschluss – offen sichtbar auf Social Media, in der Kultur, auf Straßen und Festivals. Gewaltphantasien, Morddrohungen, Zerstörung von Kunstwerken und Ausschlüsse aus kulturellen Räumen machen jüdisches Leben unsicher. Gleichzeitig werden diese Übergriffe oft als „künstlerische Freiheit“ oder „Meinungsäußerung“ relativiert. Die bisherige Untätigkeit von Behörden und Kulturinstitutionen verstärkt das Problem. Dieser Artikel dokumentiert die Situation, erzählt persönliche Erfahrungen und zeigt auf, wie struktureller Antisemitismus heute in Bern wirkt – und warum es dringend klare Haltung, Schutz und Inklusion braucht.

Seit dem 7. Oktober 2023, nunmehr bald 700 Tage, ist in Bern ein Klima entstanden, das jüdisches Leben, jüdische Kultur und antisemitismuskritische Stimmen massiv bedroht. Die Eskalation antisemitischer Gewalt und Hetze ist nicht nur theoretisch oder hypothetisch, sie ist dokumentiert, sichtbar und erfahrbar – auf Social Media, in der Stadt, in Kulturinstitutionen, auf Straßen und in Projekten, die eigentlich als inklusiv gelten sollten.

Die Situation ist alarmierend, weil sie nicht punktuell ist, sondern systematisch. Jüdisches Leben ist wieder ins Visier geraten – nicht nur als Symbol, sondern in der alltäglichen Realität: in Straßen, bei Kulturveranstaltungen, in sozialen Medien, an Schulen, in Projekten und Institutionen, die sich traditionell als tolerant, queer-freundlich, antifaschistisch und inklusiv verstehen.

Ein Klima der Gewalt und Bedrohung

Es ist verrückt. Parolen, die man hoffte, nie wieder zu hören, werden offen auf Social Media, in Videos, auf Demos und auf Straßen ausgesprochen. Zunächst fanden sie ihren Ausdruck noch anonym in Kommentarspalten, dann in öffentlichen Videos, Stickern und Plakaten. Heute werden jüdische Menschen, die Solidarität zeigen, bedroht, bespuckt, angestoßen, geschlagen – einige sogar niedergestochen. Safe Spaces, die jahrzehntelang als Schutzräume für marginalisierte Gruppen galten, sind faktisch nicht mehr sicher für Jüdinnen und Juden. Die queere Community, die sich selbst als tolerant versteht, ist für jüdische Menschen längst kein Schutzraum mehr. Auch linke, feministische oder kirchliche Räume scheinen zunehmend inhärent unsicher für jüdische und antisemitismuskritische Stimmen.

Wer behauptet, dies geschehe nur wegen des Konflikts in Israel, täuscht sich selbst. Antisemitismus ist kein neues Phänomen, und er ist längst Teil alltäglicher Erfahrungen: Schon vor dem 7. Oktober wurde ich auf offener Straße mit antisemitischen Beschimpfungen konfrontiert. Menschen, die mich als jüdisch erkannten, rutschte schon mal ein „Kindermörder“ oder mehr raus, nur weil ich sichtbar einen Davidstern trage. In Bern, Biel,  Basel oder Zürich erleben jüdische Menschen diese Bedrohungen tagtäglich – ob durch Mobbing, verbale und/oder physische Attacken auf der Straße oder die Zerstörung kultureller Erinnerungen; Sticker, gesprayte Hamas-Dreiecke und Slogans sind tägliche Begleiter genauso wie Diffamierungen in den sozialen Medien durch Einzelpersonen, Gruppen oder Medien.

Auch die subtilen Formen der Bedrohung sind belastend: der Davidstern, den man erwägt abzulegen, weil er zu sichtbar ist, oder ihn zu tarnen, indem man hebräische Schrift kalligrafisch gestaltet, damit sie nicht sofort als jüdisches Symbol erkennbar ist. Die ständige Selbstzensur, die Angst, sich als jüdisch zu zeigen, gehört heute zum Alltag – und das mitten in Europa.

Dokumentierte Vorfälle in Bern

Die Gruppe „We Will Dance Again Schweiz“ hat über 25 konkrete Vorfälle seit dem 7. Oktober 2023 dokumentiert. Einige ausgewählte Beispiele verdeutlichen die Dringlichkeit:

Direkte Gewalt und Bedrohungen:

  • Gewaltphantasien gegen „Zionisten“ auf Facebook von Mo Wa Baile, Mitarbeiter der Universität Bern (Karfreitag 2025), geliked und teilweise relativiert als „Gedichte“ von anderen Akademiker:innen.
  • Morddrohungen und gezielter Psycho-Terror gegen jüdische Künstler:innen über Monate hinweg, insbesondere gegen eine Künstlerin von Herbst 2024 bis Frühjahr 2025.
  • Würgeangriff auf Künstler L. in der Reitschule Bern (Mai 2025).
  • Pfefferspray-Attacken auf antisemitisch-solidarische Künstler:innen (August 2024, Schützenmatte).

Offene Hasspropaganda und Gewaltverherrlichung:

  • Collagen, Flyer und Hasspostings gegen jüdische Persönlichkeiten, z. B. von Dino Dragić, offen auf Instagram und Facebook.
  • DJs und Kulturveranstalter verbreiten offen Hamas-Symbolik, etwa DJ „Arabian Panther“ (März 2024, Dachstock/Reithalle).
  • Flyers, Sticker und Plakate mit Hamas-Symbolik bei Berner Festivals (Mai 2025).
  • Berner Beteiligung an gewaltbereiten Demonstrationen, z. B. ESC-alation Days in Basel (Mai 2025), organisiert vom antikolonialen Film-Kollektiv „Ciné Résistance“ /„In Transformation | Kapitel“, subventioniert.
  •  «Kapitel» lädt Samidoun/PFLP-Europa-Koordinator ein: Mohamed Khatib aus Brüssel tritt im März 2024 im “Kapitel auf”. Förderung von Judenhass als „Widerstand“

Struktureller Antisemitismus:

  • Ausschluss jüdischer Menschen aus Apéros oder Kulturveranstaltungen als „Zionisten“.
  • Kein Davidstern an Gedenkinstallationen zur Erinnerung an 1,5 Millionen ermordeter jüdische Kinder im Holocaust – er sei politisch und damit provokativ (Juli 2024, Unterseen).
  • Weitergabe sensibler Personendaten an unbeteiligte Kulturkommissionsmitglieder (Februar 2025).
  • Relativierung von Gewaltphantasien durch akademische Kreise als „Gedichte“ (Mo Wa Baile, Karfreitag 2025).

Kulturelle Zerstörung:

  • Zerstörung des Anne-Frank-Wandbildes (Oktober 2023, Schützenmatt).

Diese Beispiele zeigen, dass die Bedrohung jüdischen Lebens nicht nur theoretisch, sondern praktisch und sichtbar ist.

Heuchelei und selektive Solidarität

Es ist erschreckend, wie selektiv Solidarität und Empathie verteilt werden. Viele derer, die sich für „das Richtige“ halten, kämpfen öffentlich gegen Muslimfeindlichkeit oder behaupten, unter Zensur zu leiden, während sie selbst jüdische Stimmen und antisemitismuskritische Perspektiven zensieren. Sie schließen Menschen von Podien aus, schreien sie nieder oder bedrohen sie, bis sie sich zurückziehen.

Diese Heuchelei ist systematisch: Es geht nicht um Menschenrechte oder Gerechtigkeit, sondern um offenen Judenhass. Jesidinnen, die weiterhin leiden, trauern oder verschwunden sind; Kurden, die von der Türkei abgeschlachtet werden; Drusen, denen nur Israel Schutz bietet; Christen in Nigeria, die getötet werden; Menschen im Sudan oder Jemen, wo Millionen hungern – all das erzeugt keine öffentliche Empörung, keine Demonstrationen, keine Sticker, kein Aufschrei. Stille. Grabesstille. Das macht diese Personen nicht weniger gefährlich, aber es zeigt, wer sie wirklich sind: judenhassende Heuchler.

Es kann nicht angehen, dass diese Menschen alles zerstören. Sie wollen uns hier nicht, sie wollen uns in Israel nicht – wo sollen wir sonst sein? Die logische, wenn auch erschütternde Schlussfolgerung vieler Betroffener lautet: nur in den Öfen von Auschwitz. Wer jüdisch ist und widerspricht, wird automatisch als „Zionist“ gebrandmarkt – und in extremen Fällen sogar als „des Todes wert“ deklariert, wie es etwa auf der Pride in Zürich wortwörtlich geäußert wurde.

Persönliche Erfahrungen

Auch ich habe diese Bedrohungen selbst erlebt. Ich habe darüber nachgedacht, meinen Davidstern zeitweise abzulegen, nur um mich unsicher zu fühlen, aber letztlich trage ich ihn weiterhin. Andere Jüdinnen und Juden erzählen ähnliche Geschichten: sichtbare Symbole führen zu Anfeindungen, Bedrohungen oder sozialer Ausgrenzung. Selbst im Alltag, beim Einkaufen oder auf der Straße, werden wir verbal attackiert, körperlich bedroht oder als Täter stellvertretend für Israel dargestellt. «Bestenfalls» wird man vorher noch zu einer Gesinnungsprüfung gezwungen. Safe Spaces existieren kaum oder nicht mehr.

Die Unsicherheit greift tief in das alltägliche Leben ein: Jede Demonstration, jede kulturelle Veranstaltung, jeder öffentliche Auftritt kann potenziell eine Gefahrenquelle sein. Projekte werden abgesagt, Kultureinrichtungen meiden jüdische Themen, und selbst politisch aktive Institutionen reagieren zögerlich oder gar nicht. Es ist ein Klima der Angst und Isolation, das systematisch jüdisches Leben und Engagement unterdrückt.

Schlussfolgerungen und Forderungen

Die Stadt Bern und ihre Kulturpolitik stehen nun in der Pflicht, gegen diesen Zustand klare, wirksame Maßnahmen zu ergreifen, wie die Nulltoleranz gegenüber allen Formen von Antisemitismus, einschließlich Vernichtungsparolen und Gewaltverherrlichung und den Schutz jüdischer Künstler:innen und Kulturschaffender, einschließlich Prävention von Bedrohungen und direkter Gewalt. Es braucht ausserdem eine Reform der städtischen Kulturkommission. Weiterhin darf es keine Subventionen für Projekte oder Institutionen geben, die Gewalt verherrlichen oder radikale Ideologien verbreiten. Und wir brauchen dringend die Einsetzung einer unabhängigen Fachstelle für Antisemitismusprävention!

Kunstfreiheit endet dort, wo sie zur Tarnung für menschenfeindliche Ideologien wird. Bern kann und muss ein Vorbild sein: Eine Stadt, in der jüdisches Leben sichtbar, sicher und selbstverständlicher Teil der Gegenwartskultur ist – auch in Zeiten gesellschaftlicher Polarisierung. We Will Dance Again – in Bern, in der Schweiz, weltweit.

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