Wenn Stille trägt – der Silent Walk in Basel

An einem kalten Dezemberabend in Basel versammelten sich über hundert Menschen zu einem Silent Walk gegen Antisemitismus und für das Existenzrecht Israels. Es war ein Abend voller Stille, Gebete und Begegnungen, der zeigte, wie Kraft, Halt und Hoffnung auch in leisen Momenten spürbar werden können. In diesem Bericht nehme ich euch mit auf die Route durch die Stadt, zu den Chanukka-Kerzen, den stillen Liedern und den Momenten, in denen Licht selbst in Dunkelheit sichtbar wird.

Es war kurz vor Mitternacht, als mir klar wurde: Der Silent Walk ist vorbei, aber er klingt noch nach. Nicht laut, nicht drängend. Eher wie ein Licht, das man mit nach Hause nimmt und das noch eine Weile brennt.

Wir trafen uns um 17.45 Uhr bei der Elisabethenkirche in Basel. Schon beim Ankommen lag eine gewisse Anspannung in der Luft. Im Vorfeld war zu einer nicht bewilligten Gegendemonstration aufgerufen worden, und einige von uns hatten echte Sorge, dass es nicht bei verbalen Angriffen bleiben könnte. Diese Angst war spürbar. Gleichzeitig war da etwas anderes: Entschlossenheit. Und Stille – schon bevor wir losgingen.

Die Polizei war von Anfang an sehr präsent. Nicht nur „da“, sondern sichtbar, ansprechbar, klar, deeskalierend. Das hat getragen. Es hat Sicherheit gegeben. Dafür möchte ich ausdrücklich danken. Auch unser eigenes Sicherheitsteam war aufmerksam und ruhig. In dieser Kombination konnte ich mich – trotz allem – auf den Walk einlassen.

In der Berichterstattung war später von etwa 40 Teilnehmenden die Rede. Tatsächlich waren wir deutlich mehr. Laut offizieller Pressemeldung über 100 Menschen. Mehr als beim ersten Silent Walk in Basel. Das mag nach einer Zahl klingen, aber für mich bedeutet es: Wir wachsen. Leise, aber sichtbar.

Worte vor dem Gehen

Bevor wir losliefen, gab es eine kurze Ansprache – für die, die zum ersten Mal dabei waren, und zur Einordnung dessen, wofür dieser Silent Walk steht: gegen Antisemitismus, gegen Judenhass, für Würde, Menschlichkeit und das Existenzrecht Israels.

„Für Israel“ heißt hier nicht Zustimmung zu einer Regierung oder zu politischen Entscheidungen. Es heißt: Das Existenzrecht Israels ist unverhandelbar. Der Schutz aller Bürgerinnen und Bürger – jüdisch, arabisch, drusisch, assyrisch, aramäisch – ist unverhandelbar. Israel darf kritisiert werden, wie jeder andere Staat auch. Aber ohne Dämonisierung, ohne Doppelstandards, ohne Delegitimierung. Die 3D-Regel ist dabei ein wichtiger Maßstab.

An diesem Abend kamen noch andere Worte hinzu. Worte des Gedenkens. Worte des Gebets.

Vor wenigen Tagen hatte es am Bondi Beach in Australien einen terroristischen Anschlag gegeben. Ich habe dort Familie – Menschen, die mir so nah sind wie eine Schwester. Ihre Synagoge ist in Bondi, ihr Rabbi, ihre Gemeinde. Als ich von dem Anschlag hörte, hatte ich panische Angst, sie zu erreichen. Baruch Hashem: Sie kam nach Hause. Aber heute weiß ich, dass vier Bekannte von ihr unter den Ermordeten sind, darunter ein zehnjähriges Mädchen.

Ich habe an diesem Abend ein Gedicht, ein Gebet gesprochen – für die Ermordeten, deren Erinnerung ein Segen sein möge; für die Verletzten, dass Körper und Seele gehalten werden; für die Angehörigen, die Suchenden, die Trauernden. Es war mir wichtig, das auszusprechen. Nicht politisch. Menschlich.

In einem Moment, als ich vorne stand und das Gebet sprach, kam dieser Gedanke. Nur kurz, fast wie ein Schatten: Und wenn jetzt jemand schießt?

Es ist ein seltsames Gefühl, das sich kaum in Worte fassen lässt. Man weiß, wie unwahrscheinlich es ist. Man weiß um Sicherheitskonzepte, um Polizei, um Schutz. Und doch ist dieser Gedanke da – für einen Herzschlag lang.

Ich habe ihn wahrgenommen und dann weitergesprochen. Nicht, weil er nicht real gewesen wäre, sondern weil ich ihm nicht die Macht geben wollte, diesen Moment zu bestimmen.

In der Stille gehen

Dann gingen wir los. Zwei große Banner wurden getragen: „Silent Walk gegen Antisemitismus“ und „Silent Walk für Israel“. Dazu Israel-Flaggen – als Zeichen für das Existenzrecht –, aber auch Schweizer Flaggen, als Zeichen unserer Verbundenheit mit diesem Land, in dem wir leben, das wir achten und lieben.

Unsere Regeln waren klar: Wir gehen schweigend. Wir lassen uns nicht provozieren. Keine Gesten, keine Parolen, keine Reaktionen. Wenn etwas passiert, wenden wir uns an die Polizei. Wir folgen jederzeit den Anweisungen der Sicherheitskräfte. Diese Klarheit war wichtig – und sie hat getragen.

Auf der Wegstrecke fiel mir etwas auf: Jemand hatte offenbar hunderte Karten aus festem Papier verteilt oder verstreut. Darauf stand: „Israel = 20.000 tote Kinder. Schämt ihr euch nicht?“ Es machte mich wütend – nicht nur wegen der Unterstellung, sondern auch wegen des achtlosen Umgangs mit dem öffentlichen Raum. Überall lag Müll. Den werden andere wieder wegräumen. Dieses Detail mag klein erscheinen, aber es sagt viel über Haltung aus.

Licht in der Dunkelheit

Als wir zur Elisabethenkirche zurückkamen, war es dunkel. Kalt. Neblig. Und dann trat der Rabbiner nach vorne, um die zweite Chanukka-Kerze zu entzünden.

Er sprach von den Wundern von damals – und von den Wundern, die wir auch heute noch erwarten dürfen. Er erzählte von den „Six Beautiful“, den sechs Geiseln, die in den Tunneln der Hamas ermordet wurden, und die es dennoch geschafft hatten, dort Chanukka-Kerzen anzuzünden.

Währenddessen hörte man die Gegendemonstration irgendwo in der Nähe. Schreie. Parolen. Aggression. Man sah sie nicht, aber man hörte sie. Und es war unangenehm. Fast bedrohlich.

Dann begann der Rabbiner die Brachot zu sprechen. Klar. Ruhig. Stark. Eine andere Art von Lautsein. Und plötzlich hörte man die anderen Stimmen nicht mehr. Als wären sie einfach verschwunden.

Ich stand da, und mir liefen die Tränen über das Gesicht. Nicht aus Angst, sondern aus etwas anderem heraus: aus einem Gefühl von Sicherheit. Von Zuhause. Von Angekommen-Sein. Der Segen legte sich um uns wie eine warme Decke aus Licht.

Wir sangen „Ma’oz Tzur“. Für mich eines der schönsten Chanukka-Lieder. Die Melodie trägt. Die Worte erinnern. Danach spielte Musik, es gab Sufganiot. Ein Moment von Gemeinschaft, von Leben, von Wärme.

Begegnungen und Konflikte

Als die meisten schon gegangen waren, kam es noch zu einem kleinen Zwischenfall. Eine Handvoll Gegendemonstranten näherte sich. Zunächst wurde ein Kind mit einer großen palästinensischen Flagge vorgeschickt. Später folgten Erwachsene. Einer hielt ein Plakat hoch: „Hey Zio – be silent for once“, und drängte es uns sehr nahe vors Gesicht.

Unser Security-Team griff ruhig und bestimmt ein, bat sie zu gehen. Die meisten taten es. Einer blieb, sprach ununterbrochen von „Genozid“, wollte nicht weichen. Schließlich wurde die Polizei gerufen, die schnell kam und die Situation klärte.

Später fiel mir auf, dass auf dem öffentlichen Instagram-Account von Basel4Palestine ein Aufruf gepostet wurde: Man möge Fotos und Videos des Abends einschicken – inklusive der „übertriebenen Bullenpräsenz“ und der „unzähligen zionistischen Hater“. Ich blieb an diesem Satz hängen. Nicht, weil er mich überraschte, sondern weil er so wenig mit dem Abend zu tun hatte, den ich erlebt hatte. Zum einen, die Beschimpfung der Polizei. Und dann: Wir hatten zu keinem Zeitpunkt mit der Gegendemonstration interagiert. Wir hatten niemanden beschimpft, niemanden angesprochen, niemandem etwas zugerufen. Selbst als aus vorbeifahrenden Autos „Free Palestine“ gerufen wurde, blieben wir still. Genau das war der Sinn dieses Walks. Dass Menschen, die schweigend gehen oder Chanukka feiern, dennoch als „Hater“ bezeichnet werden, sagt weniger über uns als über das Bedürfnis nach einem feststehenden Feindbild.

Warum ich trotzdem gegangen bin

Ich war mir lange nicht sicher, ob ich an diesem Abend überhaupt kommen würde. Als Autistin, nach einem Shutdown am Donnerstag und einem schwierigen Wochenende hatte ich Zweifel: Schaffe ich das? Menschen (die Gegendemo!), Spannung, Kälte?

Dass es ging, lag an der Form. An der Stille. An der Würde. An der Klarheit. Dieser Walk war kein Geschrei, kein Gedränge, kein Lärm. Er war gehalten. Und das hat es möglich gemacht.

Am Ende wurde ich von Menschen begrüßt, die ich nicht persönlich kannte. „Ich kenne dich von deinem Blog.“ „Von Instagram.“ Umarmungen. Nähe. Das hat mich berührt.

Ein kleines Schlusswort

Der Silent Walk war kein Sieg. Kein Statement im Sinne von Lautstärke. Aber er war Balsam. Licht. Halt.
Es zeigt: Wundersame Momente können heute geschehen, inmitten von Angst, Kälte und Dunkelheit. Man muss nicht auf die großen Zeichen warten – manchmal sind sie still, warm, leise. Und gerade das, was man als leises Licht erlebt, kann die Herzen erreichen, Hoffnung tragen und Wunder sichtbar machen.

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