Ausgeschlossen: Wenn Feminismus jüdische Frauen nicht mitmeint

Ich schreibe diesen Text mit Herzklopfen. Nicht, weil ich provozieren will – sondern weil ich verletzt bin. Enttäuscht. Und wütend.
Wütend, weil ich als jüdische Feministin nicht mehr sicher bin auf einer feministischen Demonstration.
Verletzt, weil der Ort, an dem ich eigentlich gemeinsam mit anderen für Gerechtigkeit einstehen wollte, mich ausschließt – oder mich zwingt, einen Teil meiner Identität unsichtbar zu machen.

Ich habe lange überlegt, ob ich diesen Text veröffentlichen soll.
Aber Schweigen ist keine Option.
Nicht, wenn ausgerechnet in feministischen Räumen Stimmen marginalisiert werden – weil sie jüdisch sind.

Was folgt, ist kein Angriff.
Es ist ein Versuch, die Dinge beim Namen zu nennen.
Klar und deutlich.

Wenn Sichtbarkeit gefährlich wird. Warum wir als jüdische Feminist:innen nicht am feministischen Streik teilnehmen können

Es war geplant, gemeinsam mit einer jüdischen Gruppe am feministischen Streik teilzunehmen. Sichtbar, aber nicht provokativ. Einfach als das, was wir sind: Jüdinnen, jüdische Menschen, Feminist:innen. Mitten unter anderen, die für Gleichberechtigung kämpfen.

Aber: Wir gehen nicht.
Nicht, weil wir nicht wollen.
Nicht, weil wir nicht feministisch sind.
Sondern weil es zu gefährlich ist.

Nach mehreren Besprechungen wurde uns geraten: Lasst es. Die Stimmung sei bereits jetzt aufgeladen, die Bereitschaft zur Aggression hoch. Man könne uns im Fall einer Eskalation nicht schützen. Und eine Eskalation sei nicht unwahrscheinlich.

Wer sich an den 8. März 2024 erinnert, an feministische Demonstrationen in Lausanne oder Genf, kennt die Bilder: Jüdische Teilnehmer:innen wurden bedroht, jüdische Symbole diffamiert.
In Lausanne wurden letztes Jahr am Streik antisemitische Transparente gezeigt. In Genf marschierten am 8. März 2024 Demonstrant:innen mit „From the river to the sea“-Slogans, während jüdische Feminist:innen bedrängt und beschimpft wurden. Nicht, weil sie provozierten – sondern weil sie sichtbar jüdisch waren. Ein Davidstern reicht.

Und dieses Jahr?
Wieder kursieren Aufrufe, „zionistische Frauen“ aus dem feministischen Raum auszuschließen.
Wieder werden Begriffe wie „Widerstand“ bemüht, um Terror zu verharmlosen.
Wieder wird der 7. Oktober ausgeblendet – der Tag, an dem israelische Frauen vergewaltigt, gefoltert, ermordet wurden – mit einer erschreckenden Selbstverständlichkeit.

Die CICAD hat es in ihrer aktuellen Stellungnahme unmissverständlich formuliert:

„Le féminisme ne peut être un espace où les femmes juives sont invisibilisées, stigmatisées ou sommées de taire leur identité.“

Wir stimmen zu.
Feminismus darf kein Raum sein, in dem man jüdische Identität verbergen muss, um akzeptiert zu werden. Kein Raum, in dem Menschen mit Davidstern auf der Jacke oder auf der Regenbogenfahne ausgeladen werden. Kein Raum, in dem aus „Antizionismus“ eine moralische Pflicht wird und jede, die sich nicht unterordnet, zur Zielscheibe wird.

Denn:
Der Vorwurf des Zionismus wird heute benutzt, um jüdische Menschen aus dem Diskurs zu drängen.
Der Begriff wird entleert, verzerrt und ideologisch aufgeladen – oft mit erschreckend wenig Wissen, aber umso mehr Emotion.
Dabei ist Zionismus für die Mehrheit der Jüdinnen und Juden weltweit nicht extremistisch oder rechts – sondern schlicht der Ausdruck eines legitimen Zugehörigkeitsgefühls: Das jüdische Volk hat das Recht auf Selbstbestimmung. Punkt.

Antizionismus wird schnell zur Tarnkappe für Antisemitismus – und ist es meist. Wenn in feministischen Kollektiven das Tragen eines Davidsterns als „provokant“ gilt, wenn von jüdischen Frauen verlangt wird, sich zu distanzieren, bevor sie mitkämpfen dürfen, dann ist das kein Feminismus. Das ist Ausschluss. Das ist Identitätsverweigerung. Das ist gefährlich.

Wir sind jüdisch. Wir sind feministisch. Und wir sind heute nicht dabei.
Nicht, weil wir es nicht wollten.
Sondern weil unsere Sicherheit es nicht zulässt.

Was bleibt, ist Schmerz.
Schmerz darüber, dass wir uns in einem Raum, der für Gleichheit und Gerechtigkeit einsteht, nicht mehr sicher fühlen können.
Schmerz über die Selektivität der Solidarität.
Und Wut – leise vielleicht, aber nicht weniger real.

Wut darüber, dass es offenbar immer noch Menschen gibt, die sich für „alle Frauen“ einsetzen – aber uns nicht meinen.

Wir hätten gern gestreikt. Gern laut gemacht, was uns bewegt. Gemeinsam mit anderen.
Aber solange wir unsere Identität verbergen müssten, um dabei zu sein, ist es nicht unser Streik.

Nicht nur Angst – Ausschluss auf Ansage

Es wäre schon schlimm genug, wenn wir aus Angst vor möglicher Gewalt nicht teilnehmen könnten. Doch es geht inzwischen nicht mehr nur um ein Sicherheitsrisiko. Es geht um einen bewussten Ausschluss.

Mehrere Kollektive in der Romandie, darunter etwa Grève Féministe Vaud, haben ausdrücklich klargemacht, dass jüdische Frauen – insbesondere jene mit sichtbarem Davidsstern – nicht erwünscht sind. Wörtlich heißt es in ihrer Stellungnahme:
„Critiquer le projet sioniste à travers l’État d’Israël, en sa qualité d’un État explicitement colonial et génocidaire, ne relève pas de l’antisémitisme… Les drapeaux LGBTQ+ floqués de l’étoile de David représentent une instrumentalisation contraire à nos valeurs.“

Das muss man sich vorstellen: Wer eine Kette mit einem Davidstern trägt – sei es aus religiösen, familiären oder kulturellen Gründen – wird zur Persona non grata erklärt. Selbst die Regenbogenflagge, ein Symbol queerer Sichtbarkeit und Vielfalt, ist plötzlich dann „problematisch“, wenn ein weißer Davidstern darauf abgebildet ist.
So weit ist es gekommen.

Diese Argumentation – das angebliche „zionistische Projekt“, das Israel als „genozidalen Staat“ bezeichnet – ist nicht neu. Sie findet sich in den Formulierungen sowjetischer Propaganda, in den Chiffren der Hamas-Charta, in den Sprechakten autoritärer Regime, die alles Jüdische als Bedrohung rahmen. Nun taucht sie auch im Namen des Feminismus auf.

Und dabei wird mit zweierlei Maß gemessen: Wenn wirklich nur „staatliche Politik“ kritisiert würde – warum dann der Bann jüdischer Symbole? Warum müssen ausgerechnet Jüdinnen ihre politischen Überzeugungen auf dem Silbertablett servieren, ihre Ketten abnehmen, ihre Identität verstecken – während niemand verlangt, dass z. B. Aktivist:innen mit türkischen, kubanischen oder russischen Wurzeln für ihr Herkunftsland Stellung beziehen?

Wenn Aktionen eines Staates angeblich nichts mit der ethnischen oder religiösen Zugehörigkeit seiner Bevölkerung zu tun haben – warum gelten diese Maßstäbe dann nur für Jüd:innen? Warum werden wir auf Demonstrationen beschimpft, angefeindet, und inzwischen – weltweit – sogar vergewaltigt und ermordet, im Namen von „Free Palestine“?

Und noch einmal zur Regenbogenflagge mit dem Davidstern: Sie ist kein „Pinkwashing“, wie oft unterstellt wird. Sie ist das Ergebnis jahrzehntelanger Kämpfe queerer Menschen in Israel – Kämpfe für Gleichberechtigung, Sichtbarkeit und Rechte. Dass queere Jüd:innen in Israel heute mehr Rechte haben als in fast allen Nachbarländern, ist nicht Marketing, sondern ein Verdienst dieser Aktivist:innen. Sie nun mit Verachtung zu strafen – ist keine feministische Solidarität. Es ist Ignoranz.

Was bleibt

Ich hätte gerne ein Schild getragen.
Vielleicht hätte darauf gestanden: Jüdin. Feministin. Mensch.
Oder einfach nur: Für Gerechtigkeit – für alle.

Ich hätte gerne mit anderen gerufen, getanzt, gestritten, gehofft.
Ich hätte gerne gezeigt, dass jüdische Stimmen Teil der feministischen Bewegung sind – immer waren.
Aber stattdessen bleibe ich dieses Jahr fern.
Nicht, weil ich nicht will. Sondern weil ich nicht darf. Nicht soll. Nicht kann.

Es tut weh.
Und ja – es macht auch Angst.
Nicht nur wegen der Gewalt auf der Straße, sondern wegen des Schweigens. Wegen der selektiven Solidarität. Wegen der Doppelmoral.

Aber ich glaube immer noch, dass echter Feminismus für alle Platz hat.
Dass wir uns gegenseitig nicht aussortieren müssen, um gemeinsam gegen Ungerechtigkeit aufzustehen.
Und dass es möglich ist, Kritik zu üben – ohne Menschen zu entmenschlichen.

Vielleicht kommt der Tag, an dem ich wieder mitgehen kann.
Mit Stern, mit Stolz, mit Sicherheit.
Ich wünsche uns allen, dass dieser Tag bald kommt.

Ein Gedanke zu “Ausgeschlossen: Wenn Feminismus jüdische Frauen nicht mitmeint

  1. Ja, liebe Ari, man würde gerne sagen, da ist was bedenklich ins Rutschen geraten. Aber diese Formulierung trifft es nicht so ganz. Es ist als wurde was abgeschraubt, runtergenommen und dann schief wieder drauf gestaubt. Ich könnte auch einfach sagen: Die Logik liegt im Sterben. Dass die Hamas Israelis abschlachtet und dann steht die Welt für Palästina auf – verdreht. Dass Feministinnen und LGBTQ sich bei Islamisten anbiedern – leider bekloppt, wer sich den eigenen Henker suchen will, kann das einfacher haben. Der deutsche Mann weiß in der Regel immerhin, dass er kein A sein soll und dass es Gesetze dafür gibt und er sich besser dran hält. Ich habe kein Problem mit dem islamischen Kulturkreis, aber dieses Wissen und Fühlen sehe ich da nicht. Dann gibt es diese Kluft zwischen Feministinnen und Transfrauen, ich dachte ich spinne als ich sah, das sind mittlerweile zwei Lager, die sich gegenseitig an die Kehle gehen. Ich will da manchmal hinwinken, denke: als der katholische weiße Mann der A war, da war die Welt nicht schön, aber logisch. Und was du da beschreibst, das gilt ja durchaus auch für jüdische Männer. Aber ich habe das Gefühl mittlerweile dreht das wieder. Halte durch, es bessert sich gerade! Viele Grüße!

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