Lieber Julian: ein Brief an Freunde, solche die es nicht mehr sind, und andere Menschen

Lieber Julian,
So, jetzt trifft es dich dann doch. Es gibt so einiges, dass ich dir gerne sagen würde. 

Eigentlich ist dieser Brief an so einige Julians und Julianes gerichtet, die es in dieser Welt gibt, und die wohl zum Teil auch ganz andere Namen tragen. Dieser Brief geht an so viele Menschen. Manche sind noch meine Freunde, manche sind es vielleicht noch, manche sind es nicht mehr, und andere kenne ich gar nicht.

Warum ich deinen Namen gewählt habe? Würde ich sagen, es ist reiner Zufall, wäre es gelogen. Du vereinst viele Punkte der Menschen in dir, an die ich diesen Brief schreibe. Queer-feministische, linke, eigentlich an sozialer Gerechtigkeit interessierte Menschen, die sich gegen alle Arten von -ismen und -phobien aussprechen und sich eigentlich für eine gerechtere Welt einsetzen. Was ich schreibe, schreibe ich alles aus meinen eigenen Gefühlen heraus. Meine eigenen subjektiven Gefühle, Gedanken. Aber Du kennst mich. Ich habe noch nie für mich beansprucht, die einzige und absolute Wahrheit zu besitzen, oder Recht zu haben.

Lieber Julian,
Ich habe Dir mal gesagt, dass Du eine wertvolle Person bist. Und das stimmt. Diese Aussage bleibt stehen, das ändert sich nicht, wird sich nicht ändern. Jeder Mensch ist wertvoll. Dass ich von Dir enttäuscht bin, ändert daran nichts.

Enttäuschung tut weh, aber sie hat auch etwas Positives: das Ende der Täuschung. Ich will damit nicht sagen, dass Du mich getäuscht hast – vielmehr habe ich mich in Dir getäuscht.

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La vie n’est pas linéaire

Voici la version française, pour mes amis francophones. Ma vie n’a certainement pas été sans événements, mais je continue d’avancer à travers tout ce qui s’est passé et ce qui arrivera encore.

Certaines personnes peuvent penser que je recule, mais pour moi, il s’agit simplement d’avancer sur mon chemin. Je n’aime pas le mot « détransition » : il est trop chargé et est souvent utilisé ou abusé par certains milieux à leurs propres fins, et comme je l’ai dit, je ne reviens pas en arrière, mais je vais en avant. Je ne regrette rien.

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Life isn’t linear

Here is the English version, for my English-speaking friends. My life certainly not been uneventful, but I keep on moving forward through everything that has happened and that will happen still.

Some people may think that I’m moving backwards – but for me it’s simply moving forward on my path. I don’t like the word „detransition“: it is too loaded and is often used or abused by certain circles for their own purposes, and as I said, I’m not going back, but forward. I don’t regret anything either.

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Das Leben ist nicht linear

Mein Leben war, glaube ich, nie langweilig. Auf gar keinen Fall war es ereignislos. Und schon gar nicht linear. Ein Freund sagte mir vor einigen Tagen dass der Weg das Ziel wäre, und man diesen erst beim Wandern entdecken würde. Manche meinen, ich würde rückwärts gehen – für mich ist es aber ganz einfach ein vorwärts gehen auf meinem Weg.

Das Wort «Detransition» mag ich nicht: es ist zu sehr belastet, wird gern von bestimmten Kreisen für ihre Zwecke ge- oder missbraucht, und wie gesagt, ich gehe nicht zurück, sondern vorwärts. Ich bereue auch nichts.

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Jesus der Jude

Ein Glas Glühwein, und schon schreibt es sich leichter.

Es ist Heiligabend, und in meinem social media feed hat sich die letzten Tage wieder ein neuer Kampf ausgetobt. Es hört diese Tage nicht mehr auf, alle paar Tage gibt es etwas Neues. Dieses Mal, da es auf Weihnachten zuging, ging es um Jesus.

Jesus solle ein Palästinenser sein. Eigentlich ist das Ganze ja lächerlich und traurig zugleich. Es gab ja auch schon Bilder und Texte die von Jesus als schwarzer Person sprachen, um seine Solidarität mit leidenden Menschen zu verdeutlichen. Von da aus hätte es mich gar nicht sonderlich gestört, wenn einige der Aussagen zu „Jesus dem Palästinenser“ nicht in Antisemitismus abgerutscht wären. Doch manche Posts waren haarsträubend und liessen sich ziemlich nahtlos in die gute alte Tradition anderer antisemitischer Aussagen einordnen: Jesus wäre als Palästinenser geboren, den Kindermordenden Juden ausgesetzt, später als Erwachsener von Juden umgebracht -der Gottesmordvorwurf-, passend zum heutigen Dasein der Palästinenser die heute dem Genozid durch den „faschistischen Kolonialstaat Israel“ ausgesetzt sind, der wieder Kinder mordet voller Blutlust. Es läuft mir kalt den Rücken herunter. Nicht schwer, hier die altbekannter antisemitischen Mythen wiederzuerkennen, neu verpackt.

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Kristallnacht 2

Shards of broken glass on the streets
and flames licking high on walls
of synagogues, stores, hospitals and schools
as sledgehammers ransack und beat to pulp
and boots keep droning on the pavement
in search of the next victim to strip of their humanity
as the prelude to a sinister orchestra piece
hellbent on crushing the last soul
in murderous hateful intention
after having licked jewish blood
The Night of broken Glass
inaugurated the 6 million
just 85 years ago

But its seeds survived
and revive beneath our eyes
with murderous chants
and hatefilled propaganda,
ransacking, violent, insulting,
boycotting, attacking, murdering,
shooting against schools and lighting shuls
with zero empathy
and the rest watching in silence –
how not to see the parallels?

And from broken glass
to broken hearts
the 200, Bring Them Home!

And social media warriors and rioters
play geopolitical head games of hate
between rhetorics and lies
treating us just like facts and figures
and teams to cheer or to hate on
as if words had no consequences
forgetting that we All are humans
in search of their homeland,
of peace, and a good life.

Ohne Israel wär kein Antisemitismus

Während dem 2. Israel-Libanon-Krieg wurde ich hier in der Schweiz als Kindermörder bezeichnet. Einfach so, im Supermarkt, beim Einkaufen. Anti-Semitismus, gewachsen aus Hass auf Israel. Da hiess dann oft genug, würde es Israel nicht geben, würde es auch keinen Anti-Semitismus geben – oder auf jeden Fall viel, viel weniger, überall auf dieser Welt – in der westlichen als auch in der islamischen Welt. Das dies der Fall ist, wage ich zu bezweifeln. Ausserdem ist es eine Art von Täter-Opfer Umkehr, die es den Judenhassern leicht macht: „Ihr alle seid doch selbst dran schuld, wenn man euch überall hasst. Macht was gegen euren Staat, der muss weg, vorher war doch alles gut!“

Sicher?

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Bisschen Demo, bisschen Geschichte

Gestern Abend habe ich auf TikTok einen Live Feed von einer Free Palestine Demo in Berlin geschaut. Auch wenn ich dabei sicher in meiner Küche war, ist mir doch irgendwie dabei etwas mulmig geworden.

Nicht falsch verstehen: das palästinensische Volk verdient es, nach so vielem Leiden frei zu Leben, in Sicherheit, glückliche Leben, erfüllte Leben, lebenswerte Leben voller Würde, Freude und Liebe – nicht jeden Tag den Abgrund in den Augen.

Nein, es war die ganze Stimmung, und die Sprechchöre die mich in diesen Zustand versetzten. Gleichzeitig habe ich gelesen, dass palästinensische Menschen nicht einmal mehr ihren Schal tragen dürfen, oder sich zusammen versammeln dürfen, um Kerzen anzuzünden und ihrer Trauer Luft zu machen – wie tragisch das ist, mag man kaum beschreiben, ein Stück der Identität und öffentlicher Trauer beraubt sein, ist grausam. Gleichzeitig ist definitiv wieder die Zeit da, in der ich den Davidsstern an meiner Kette nicht öffentlich zeigen sollte, noch die jüdischen Tattoos, die meine Arme von oben bis unten zieren.

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Oseh Shalom

Ich habe das Gefühl, in den letzten Tagen mehr geweint zu haben als in den letzten zwei Jahren. An Simchat Torah war die Freude nicht da. Ich will Frieden. Schon so lange. Doch er scheint in immer weitere Ferne zu rücken. Und dieser Post wird wahrscheinlich genauso lang lang und sinnlos, wie ich mich gerade sinnlos und hilflos fühle. Es geht mir nicht um mich, aber ich musste mir all diese Emotionen von der Seele schreiben. Ich bin nicht wichtig.

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Das I-Wort: koloniale Fremdbezeichnung

Das I-Wort. Viele benutzen es – wahrscheinlich ohne böse Absicht, und ohne zu wissen, dass es sich hier um eine koloniale Fremdbezeichnung handelt. Und manche tuen es in dem Wissen, dass es sich eben um eine solche handelt und bestehen darauf, dass es ihr Recht ist, „weil sie es ja nicht böse meinen“, oder „weil sie es ja schon immer benutzt haben“. Das I-Wort: gemeint ist das Wort Indianer. Andere weisen darauf hin, dass ja doch die eine oder andere Indigene Person nicht stört, oder dass das Wort „Indian“ vielerorts in den USA benutzt wird. Auf all das werde ich zurückkommen. Fakt ist, dass das I-Wort eine koloniale Fremdbezeichnung ist, und als solche wäre es gut daran getan, sie zu vermeiden.

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