« Lasst uns darüber reden »

« Lasst uns darüber reden » ist das Thema der diesjährigen Pride in Zürich. Während die Themen der letzten Jahre eher Botschaften nach aussen waren, richtet sich das Thema dieses Jahr an die Community. Oder sollte ich sagen, die Communities, die die «Community» ausmachen? Ich finde dieses Thema grossartig, denn Dialog ist immer etwas Gutes – innerhalb der Community, als auch nach aussen; und ebenso im Zwischenmenschlichen. Dialog ist nicht nur etwas Gutes – er ist notwendig für unser Zusammenleben.

Wer an die queere Community denkt -oft zur Zeiten der Pride- vor allem als aussenstehende Person denkt wohl oft meist an eine einzige Community, so als ein grosser Monoblock. Dem scheint mir, ist aber nicht so. Mir erscheint die grosser Regenbogenfamilie vielmehr als eine Familie von mehreren Communities, die wiederum aus verschiedenen kleineren Gruppen bestehen. Dass da Dialog notwendig ist, versteht sich von selbst. Nicht, weil queere Menschen wenig konfliktfähig wären, oder sensibler als andere (auch wenn sich manche Milieus abfällig über uns als linksgrüne «Schneeflocken» äussern) – sondern einfach, weil hier viele verschiedene Menschen mit unterschiedlichen Geschichten, Sensibilitäten und Bedürfnissen aufeinandertreffen.

Community im Plural

Viele der Gruppen haben jeweils auch noch ihre eigene Geschichte als Community, die beim jeweiligen Dialog noch mitschwingt: so zum Beispiel lesbische Frauen, die sich nicht nur ihren Platz und ihre Sichtbarkeit als lesbische Frauen erkämpfen mussten (und noch müssen), sondern allgemein mit Misogynie, Patriarchat und allen Dingen, die Frauen betreffen, kämpfen müssen. Manche Menschen gehören gleich zu mehreren Gruppen: ich bin zum Beispiel zuerst Two-Spirit[1]. Aber ich bin auch intergeschlechtlich, trans, neurodivers und afro-indigenous. Welcher Community gehöre ich an?

So sind wir zwar einzelne Communities, aber unsere Geschichten sind dennoch miteinander zu einem grossen Ganzen verwoben.

Die «grosse Community» ist plural, und unsere Identitäten sind es auch oft.

Da ist es normal, dass sich manchmal manches aneinander reibt. «Wo Menschen sind, da menschelt’s», sagt meine Mutter oft. Was wichtig ist, ist das einander zugehört wird und dass wir miteinander in Dialog kommen.

Dieser gilt ebenso für das miteinander zwischen queerer Community und nicht-queerer Umwelt. Verständnis entsteht meiner Meinung nach durch Kennenlernen und Dialog.

Community in der Gesellschaft

Gerade im heutigen gesellschaftlichen und politischen Klima wo bestimmte Kräfte, Parteien, Politiker und Gruppierungen konstant mehr Druck und Stimmung gegen queere Menschen und insbesondere trans Menschen machen, sind Dialog, Kennenlernen und Zusammenhalt besonders wichtig. Die Geschichte vom Gendertag in Stäfa ist bekannt; im Kanton Genf versucht gerade die SVP einen Gesetzesvorschlag durchzubringen, um jegliche Transitionsmassnahmen von Pubertätsblockern an für Minderjährige zu verbieten[2] (obwohl bekannt ist, dass diese Massnahmen nachweisslich Leid mindern und Suizid verhindern können[3]); Nicht-Binäre Menschen werden von unserer Regierung nicht anerkannt, von manchen Politikern sogar öffentlich Modetrend bezeichnet. Angestachelt von Politikern wie Andreas Glarner bezeichnen nicht wenige Menschen trans Menschen als «krank» oder «Spinner» unter seinen entsprechenden Facebook Einträgen, in denen er z.B. immer wieder absichtlich trans Frauen misgendert oder allgemein gegen LGBTQ oder den feministischen Streik postet. Die Gewalt an queeren Menschen ist letztes Jahr stark gestiegen[4].

Es ist oft einfacher, etwas gegen Menschen zu haben, solange diese nur eine gesichtslose Nebulöse bleiben. «Die LBGTQ-Community», die «Trans-Aktivisten»… sobald diese Menschen aber ein Gesicht bekommen, von ihren Geschichten erzählen, es zum Dialog kommt, kann sich vieles ändern. Natürlich gibt es Grenzen bei diesem Dialog: wenn der andere meine Existenz in Frage stellt, wird der Dialog schwierig (Toleranz-Paradoxon nach Popper) – aber bis dahin kann hoffentlich viel zugehört und geredet werden. Offene ehrliche Fragen können und dürfen als auch ein gegenseitiges Zuhören, das zu einem echten Kennenlernen und Austausch führt, ist etwas, das ich mir wünsche – innerhalb der queeren Community, und innerhalb der Gesellschaft. Dass dazu ein gewisses Mass an Vertrauen gehört, weiss ich.

Verständnis für die gegenseitigen Anliegen und Bedürfnisse aufbringen.

Feindbilder abbauen um dem Rechtsruck Wind aus den Segeln zu nehmen bzw. Ängsten und Ideen die Kraft nehmen: Menschen haben oft Angst vor dem, was sie nicht kennen und verstehen, also diese falschen Bilder und Ideen entkräften und auflösen. Denn ich sehe es in den USA, wo diese Art Politik und Propaganda hinführt: unter dem Vorwand des «Kinderschutzes» ist es nun so weit, dass auch erwachsene trans Personen keinen Zugang zu Medikamenten etc haben, in Florida dürfen Ärzte queeren Menschen die Hilfe verweigern[5] und die Human Rights Watch hat den nationalen humanitären Notstand für LGBT-Personen in den USA ausgerufen[6]. Für LGBT-Personen und POC (Persons of Color) besteht eine Reisewarnung für Florida[7]. Die Konservativen haben einen imaginären Feind geschaffen der die Ordnung and das Land bedrohe, anstelle sich um wirkliche Probleme zu kümmern.

Wir brauchen Dialog

Dialog betreibe ich auch im Kleinen. Viel auf social media, aber auch an verschiedenen Orten. Ich bin auf Instagram und Tiktok unterwegs und mache dort Aufklärung und Aktivismus, und es kommt immer wieder (abgesehen von den immer wieder gleichen nervigen Kommentaren) zu Dialogen – mal kürzer, mal länger. Manchmal wird nicht viel daraus, und manchmal ergibt sich Gutes daraus. Und manchmal sogar Überraschendes, so wie mit einer AfD-Person die wissen wollte, warum man «gebärende Person sagt». Ich erklärte ihr, dass dieser Ausdruck nicht das Wort «Mutter» ersetzen soll, dass ja so viel Bedeutung hat und so viel beinhaltet (Menschen können Mütter sein oder mütterliche Rollen übernehmen ohne geboren zu haben; Muttersein ist weit mehr, als nur zu gebären, und ich würde meine Mutter oder meine Grossmutter nie als «gebärende Person bezeichnen) – dieser Ausdruck ist für Menschen, die Kinder gebären können, sich aber nicht als «Mutter» identifizieren können wie zum Beispiel nicht-binäre Personen oder trans Männer. Am Ende fand diese Person, dass das ja eigentlich kein Problem wäre, und so erklärt es doch gut sei. Das passiert nicht oft, aber ohne Dialog und zuhören würde es nie passieren.

Am meisten schmerzen mich sicherlich manche Bemerkungen die von innerhalb der Community kommen, gerade in Zusammenhang mit trans oder Drag – da kamen im Zusammenhang mit der Drag Queen Story hour sowas wie «ich als schwuler Mann schäme mich für euch» – das sticht natürlich. Aber auch da habe ich versucht, zuzuhören: warum? Was stört dich? Alles ändern kann ich nicht, und mich anderen zuliebe ändern auch nicht.

Aber wenn ich will, dass andere mir zuhören, dann erweise ich ihnen auch diese Ehre.

Menschen höre ich auch bei mir zu Hause zu, wenn ich sie schminke. Ich bin Makeup Artist und studiere Theologie um ins Pfarramt in der reformierten Kirche zu gehen. Ein aktives Zuhören, und ich höre dabei so viel.

Menschen kommen zu mir und erzählen mir von ihrer Angst. Von ihrer Wut. Von ihrer Sprachlosigkeit. Aber vor allem von der Angst, der umgeht. Weil wir sind, wer wir sind, und lieben, wen wir lieben. Aber was ändert das für Arbeitskolleg*innen, für Nachbarn, Passant*innen, Menschen die man gar nicht kennt? Und dennoch wird unsere Existenz in Frage gestellt – ob es uns geben soll, darf, ob es „uns ausgetrieben werden soll“, ob man weggesperrt werden soll, verboten, zum Schweigen gebracht und gänzlich unsichtbar gemacht werden soll.

Von Kirche und Hoffnung und Menschen

Die Abwertung fängt durch Blicke und Worte an -auf Facebook, Twitter, Tiktok, durch Privatnachrichten auf Telefon und im Briefkasten-, geht mit Mobbing weiter und entlädt sich schliesslich in körperlicher Gewalt. Und darum ist und bleibt die Stimme der Kirche so wichtig – auch, und gerade in einer Gesellschaft, in der die Kirche zwar dabei ist, in eine Minderheitsposition zu geraten, aber dennoch Ansehen und Gehör besitzt. Die Menschen sehen, hören, warten. Es ist der Auftrag der Kirche, sich für die Schwachen stark zu machen, Stimme zu sein, gegen Gewalt zu stehen. Und wir trans* Menschen, queere Menschen, wir gehören zu denen, denen Gewalt geschieht. Jeden Tag. Jeden Tag sind wir geachtet wie Schlachtvieh. Es gibt Menschen hier und da, die sich für uns einsetzen, die uns zuhören. Wir sind stark. Wir sind nicht schwach. Aber man wünscht sich, nicht so verdammt stark sein zu müssen und einfach nur leben zu können, voller Freude und Liebe.

Nur wenn alle frei sind, sind wir wirklich frei.

Die Menschen haben viel zu erzählen – über ihre Ängste in dieser Zeit, ihre Sorgen; aber auch was ihnen Hoffnung gibt und Kraft. Da ist die Hoffnung, dass wir eines Tages alle einfach nur leben können, leben und lieben, und glücklich sein, so wie wir sind – ganz egal ob homo, bi oder hetero, intergeschlechtlich, trans oder cis. Alle zusammen, eine Gesellschaft, eine Welt, in Frieden. Befreit, im Lichte des Evangeliums. Solidarisch, getragen durch die Solidarität anderer. Nur wenn alle frei sind, sind wir wirklich frei.

So lasst uns dann alle einfach Menschen sein, alle gleich würdig, gleich geliebt, einzig-artig, wundervoll und wertvoll in allen Facetten ihrer Identitäten – bunt schillernd, alles Menschen, von Geistkraft erfüllt. Ich bin dankbar gegenüber der Quelle des Lebens, der Liebenden, Gott – gab mir das Leben, so wie ich bin, dass ich bis jetzt leben durfte und jeden Tag wieder neu aufstehen darf: voll Liebe, voll Trotz, voll Humor. Manchmal ist er etwas schwarz, aber er ist immer da.

Lasst uns darüber reden.
Lasst uns miteinander reden.
Wir schaffen das.
Wir lieben.
Wir gehen vorwärts, alle zusammen.
Wir schaffen das.

Nein, nicht alles ist schlecht.
Ich sehe so viel Liebe, und kleine Wunder überall.
Das Leben ist schön und wertvoll.
Liebe…
Wir schaffen das.
Wir sind nicht unsichtbar.
Lasst uns reden.


[1] Two-Spirit ist eine Bezeichnung die ausschliesslich für indigene Menschen reserviert ist. Sie beinhaltet gleichzeitig Geschlechtsidentität, sexuelle Orientierung, kulturelle und spirituelle Zugehörigkeit. Der Terminus Two-Spirit ist pan-indigen; individuelle Kulturen haben ihre eigenen Bezeichnungen und Inhalte für den Terminus. Siehe auch https://youtu.be/A4lBibGzUnE oder die schon etwas ältere aber exzellente Dokumentation https://youtu.be/8JcmAoderl4

[2] https://ge.ch/grandconseil/data/texte/PL13324.pdf?fbclid=IwAR0pnRE7wJUcITSYB5pHSXaikg1iTFbCIp9kKbHf9xKyMi151gzCODHZsn4

[3] https://www.wpath.org/publications/soc

[4] https://www.srf.ch/news/schweiz/zunahme-um-fast-50-prozent-angriffe-auf-lgbtiq-menschen-in-der-schweiz-auf-neuem-hoechststand

[5] https://www.tracktranslegislation.com/

[6] https://www.hrc.org/press-releases/for-the-first-time-ever-human-rights-campaign-officially-declares-state-of-emergency-for-lgbtq-americans-issues-national-warning-and-guidebook-to-ensure-safety-for-lgbtq-residents-and-travelers

[7] https://www.cbsnews.com/news/naacp-travel-advisory-florida-says-state-hostile-to-black-americans/

Ein Kommentar zu „« Lasst uns darüber reden »

  1. Hallo Ari, danke für deinen informativen Beitrag. Ich habe ihn gerade erst entdeckt.
    Ja, genau, was tangiert es andere Leute, wenn jemand queer ist und halt anders lebt und liebt, als besagte Leute sich das vorstellen? Wieso erdreisten Menschen sich, ihre Angst (die weiss Gott irrational ist) an anderen abzureagieren? Es bricht mir jedesmal das Herz, wenn ich wieder lesen oder hören muss, wie viel Hass und Vernichtungswillen denen entgegenschlägt, die nicht ins Schema F passen, welches noch nicht einmal ein absolutes Schema F ist, sondern bloss die fixierte Vorstellung einzelner Gesinnungsmobs.
    Ich bin cis hetero, aber ich stelle mich quer für queer, wo immer es nötig ist. Warum auch nicht? Mir ist Queerness weitestgehend fremd, einiges finde ich irritierend, weil es eben nicht meiner Vorstellung von schön oder angenehm entspricht – so what? Diese unsäglich dumme Idee, man könne jemanden queer machen, gehört ausgerottet. Und ich schäme mich nicht mehr dafür, dass ich für feindselige Menschen nur noch Feindseligkeit empfinde und denen wünsche, exakt das Böse zu erfahren, was sie anderen Böses antun (wollen). Auge um Auge hat m. E. in solchen Fällen einfach seine Berechtigung.

    Worte sind wohlfeil; ich hoffe trotzdem, dass sie wenigstens insofern etwas Gutes bewirken, wenn sie dir und anderen deiner Community für einen Moment das berechtigte Gefühl geben können, dass ihr auch viele stille, unsichtbare Sympathisant:innen habt. Wenn ich könnte, ich würde DeSantis und Co. vom Angesicht der Erde tilgen. Gott tut es ja offensichtlich nicht.

    Alles Gute!
    Eva

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